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Wir Achtundvierziger

oder

Kaderstimmung

 Aufgefordert, übers Radebeuler Mohrenhaus und dessen Einfluß auf mein späteres Leben zu berichten, habe ich mich nach zähen Verhandlungen und schließlich durchgesetztem totalen Honorarverzicht zu dieser Niederschrift entschlossen: Vorbemerken will ich, daß ich als sogenannter Satka und MdKF (Satiriker, Kabarettist und Meister der kleinen Form) natürlich nicht auf die vom Verlag anvisierten zwei bis zwanzig Manuskriptseiten komme, jedoch mit einer feuilletonistischen Miniatur gleichwohl dienen kann.

Das Mohrenhaus war, wie ich mich erinnere, eine der ersten Prä-DDR-Kulturkaderschmieden, die dem projektierten Arbeiter-und-Bauern-Staat einen kräftigen Schubs geben sollten. Nebenbei bemerkt, hospitierte ich im selben Jahr auch an der Jugendkaderschmiede Ahrenshoop (Lektoren u. a. Johannes Schellenberger, Alexander Abusch, der „rote Pastor“ Karl Kleinschmidt und Klaus Gysi, der damals die Geburt eines Sohnes und späteren PDS-Vorsitzenden in jegliches Gespräch einflocht) und verfügte also in Radebeul über einen gewissen Wissensvorsprung.

Mohrenhaus 1948: Wir waren zirka fünfzig Figuren - die männliche Flanke über-, die weibliche beklagenswert unterrepräsentiert. Lehrgangsleiter war Hans Mrowetz, mit aktuell einundachtzig Lebensjahren vier Jahre älter und weiser als ich. Von den Kommilitonen - zwischen achtzehn und achtundzwanzig Jahre alt - blieben mir in ungeordneter Reihenfolge im Gedächtnis Adolf Görtz, Helmut Hauptmann, Rudi Raupach, Jo Wenzel, Wolfgang Kohlhaase, Frank Vogel, Paul Thyret, Wolfgang Roeder, Dieter Mäde, Heiner Müller, Hermann Heinz Wille, Karlheinz Schnabel, Günter Albrecht. Sie wurden Journalisten, Feuilletonisten, Schriftsteller, Dramatiker, Szenaristen, Conferenciers, Regisseure, Dramaturgen, Redakteure, Literaturkritiker und so weiter.

Viele Mohrenhäusler, wie Frank Vogel und Heiner Müller, leben nicht mehr. Aber von fast allen Mrowetz-Schützlingen kann gesagt werden: Sie lebten recht und rechtschaffen in der Deutschen Demokratischen Republik und nicht wie Dagmar Schipanski in der, wohin sie im Fernsehdialog mit Günter Gaus ihren früheren Wohnsitz verlegte, ehemaligen DDR. Denn das war die DDR, solange sie existierte, eben nicht: ehemalig. Ehemalig ist sie erst seit treuhänderischer Annexion im Jahre 1990. 

Hansgeorg Stengel


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