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7. Oktober 1949

 Dieser Tag und das Jahr 1949 waren für meine persönliche Entwicklung bedeutsam. So zogen wir, meine Mutter und meine Schwester, als aus Berlin seit 1943 evakuierte Berliner, im Frühjahr 1949 von Leetza - einem Dorf im Kreis Wittenberg - nach Zühlsdorf, Kreis Niederbarnim, zum Großvater auf dessen Grundstück.

Zühlsdorf liegt an der Heidekrautbahn in unmittelbarer Nähe von Wandlitz, das später sehr bekannt wurde durch seine Waldsiedlung. Der Wohnungswechsel bot mir endlich die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen, da das Wohnen und Leben in Leetza ja nicht von Dauer sein konnte. Dort war ich 1947 aus der zweiklassigen Dorfschule mit dem Zeugnis der 8. Klasse entlassen worden. Mein Berufswunsch, Förster oder Bauer zu werden, ließ sich in den Wirrnissen nach Ende des II. Weltkrieges nicht realisieren, daher wurde der 1. Oktober 1949 für mich ein Freudentag: Endlich - nach vielen Bewerbungen und Versuchen, eine Lehrstelle als Gärtner oder Tischler zu erhalten - erhielt ich in Summt bei Berlin einen Ausbildungsplatz als Feinmechanikerlehrling in den damaligen volkseigenen Feinmechanischen Werkstätten. Der Ort liegt 6 km von Zühlsdorf entfernt und ist gut zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad zu erreichen. Man kann auch mit besagter Heidekrautbahn bis Mühlenbeck fahren, und nach 2 km Fuß- oder Radweg ist man ebenfalls im Ort.

Bei achtstündiger Arbeitszeit ließen sich die besagten 6 km gut bewältigen. Allerdings verlief mein Fußmarsch frühmorgens - ich mußte 7.00 Uhr im Betrieb sein - flotter als am Abend, da der Summter See zum Baden verleitete, wenn es die Jahreszeit erlaubte.

Trotz meiner Freude über die Lehrstelle gefiel mir der Beruf des Feinmechanikers nicht sonderlich, weil ich lieber im Freien oder mit Holz arbeiten wollte. Nun schon fast 17 Jahre alt, sah ich aber ein, daß ich endlich einen Beruf erlernen mußte und große Auswahlmöglichkeiten kaum bestanden. Die Lehrausbildung begann mit der Grundausbildung im Feilen. Wir Lehrlinge, Mädel und Jungen, erhielten die Aufgabe, einen gußeisernen Würfel maßhaltig und alle Flächen gerade - in der Fachsprache heißt das „plan“ - zu feilen. Das ist keine leichte Aufgabe für Anfänger, die noch nie eine Feile in der Hand hatten. Deshalb empfand ich am 7. Oktober die Ankündigung „Wir fahren als Betriebsdelegation nach Oranienburg zu einer Großdemonstration“ als angenehme Unterbrechung der eintönigen Feilarbeit. Wir fuhren in Unkenntnis, was in Oranienburg passieren sollte, mit unserem altersschwachen Holzgaslaster (und dem dazu gehörigen Holz als Brenn- und Betriebsstoff) in die Kreisstadt. Dort hörten wir in einer kurzen aber markigen Ansprache, daß die Deutsche Demokratische Republik gegründet und ausgerufen worden sei. Die Veranstaltung endete mit dem Absingen der schwierig erscheinenden neuen Nationalhymne, die mir aber besser gefiel als das Deutschlandlied.

In den ersten Wochen und Monaten nach Gründung der DDR änderte sich auf den ersten Blick nicht viel in unserem Leben. Und doch arbeiteten die Menschen in meinem Umfeld freudiger. Es ging voran, die Trümmer wurden - langsam aber sicher - übersichtlicher und weniger. Es gab mehr zu essen, und die Dinge des täglichen Lebens bekam man immer öfter als bisher zu kaufen. Es lohnte sich, angestrengt und fleißig zu arbeiten, denn die Leistungen wurden den damaligen Möglichkeiten entsprechend vergütet.

Während meiner Lehrzeit wechselte ich das Ausbildungsziel, wurde Spitzendreher und beendete 1952 die Lehre. Meine nachfolgende persönliche Entwicklung ist untrennbar mit dem 7. Oktober 1949 verbunden. Denn nach meiner Meinung war es nur in der DDR möglich, daß sich so viele Arbeiter, Bauern und Angestellte zu qualifizierten Fach- und Hochschulpersönlichkeiten weiterentwickeln konnten. 

                                                                                                                         Dr. Günter Wehner


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