Napoleon meinte: "Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat." Jedoch der 17. Juni 1953 in der DDR ist geradezu das Exempel für Uneinigkeit, Zwietracht und Parteiengezeter der Historienschreiber, insbesondere der des deutschen Westens kontra Osten, dazu noch der untereinander hier wie dort. Wenn schon keine der verzerrten, vorgefaßten und meist politisch zweckgebundenen Sichten und Urteile im Laufe fast eines halben Jahrhunderts die Oberhand gewann, so mußte erst recht die Wahrheit bei der gegenwärtigen Rechthaberei der "Sieger" auf der Strecke bleiben. 

In diesem Buch wird nun der Versuch gemacht, wenigstens einiges von den Tatsachen festzumachen, in letzter Stunde vielleicht, denn viele der Frauen und Männer, die von den damaligen Ereignissen aus eigenem Erleben zu berichten wissen, sind im hohen Alter oder - wie einer der wichtigsten Zeitzeugen: Arnold Eisensee - bereits tot. Der Schriftsteller Eisensee, zu jener Zeit Leiter des Funkstudios des Nationalen Aufbauwerkes der Stalinallee, hat bis zuletzt jenen Geschehnissen und Dutzenden der Beteiligten, den Bauarbeitern, Gewerkschaftlern und Funktionären nachgespürt und ihre Aussagen protokolliert. Er hat damit ein wahrlich sensationelles Dokument, seine hier erstmals postum veröffentlichten Notizen "Funkstudio Stalinallee", hinterlassen. 

Auch alle weiteren Berichte dieses Bandes aus zahlreichen Städten und Ortschaften der DDR (Wismar, Greifswald, Rostock, Lauscha, Suhl, Weimar, Jena, Leipzig, Dresden, Görlitz, Lauchhammer, Spremberg, Wölfen, Eisenhüttenstadt, Magdeburg, Halle, Brandenburg, Hennigsdorf u. v. a.) sind die verbürgten Erinnerungen an jene dramatischen Junitage von Menschen der verschiedensten Herkunft, der Berufe, Funktionen und der politischen Standpunkte, die damals an Ort und Stelle waren. 

Wenn eines Tages die wirkliche Geschichte des 17. Juni 1953 geschrieben wird und sie mehr als die Einigung auf eine oder viele Lügen sein soll, dann dürfte sie kaum an diesen hier vorgelegten authentischen Erinnerungen vorübergehen können. 

Eberhard Panitz