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Ein erfülltes Leben

Nach Abitur und zweijähriger Landwirtschaftslehre in Volkseigenen Gütern begann ich 1951 das Studium der Landwirtschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1952 heiratete ich (man lästerte damals: „Studienziel erreicht“) und bekam nach dem 3. Semester mein erstes Kind, ohne das Studium zu unterbrechen.

Mein Mann, Student im gleichen Studienjahr, und andere Kommilitonen schrieben die Vorlesungen mit, und ich konnte bis auf eine Zwischenprüfung (da lag ich mit dem Neugeborenen in der Klinik) alle Prüfungen termingemäß absolvieren. Ein Baby zu haben war damals kein Problem, es gab eine gute Kinderkrippe an der Universität. Mein Mann arbeitete nebenbei als Hilfsassistent für Gesellschaftswissenschaften, wir bekamen je 170 Mark Leistungsstipendium und Kinderzuschlag. Ich hatte damals ausgerechnet, daß alle Nahrungsmittel, die es auf Karten gab, monatlich pro Kopf nur 70 Mark kosteten. Die Lebensmittel auf Karten reichten aus, wir brauchten nichts aus der HO hinzuzukaufen. Das Studium verlief ohne große Probleme - bis auf die, die wir uns selber machten.

Einmal sprach unser Professor für Zoologie im Seminar über die Schöpfung der Natur. Er war als praktizierender Christ bekannt. Mein Mann meinte daraufhin, wer an die Schöpfung glaube, könne doch nicht Naturwissenschaft lehren. Der Professor verlangte beim Rektor der HU die Relegierung meines Mannes. Dem Prorektor für Studentenangelegenheiten, Prof. Bartels, gelang es, die Sache niederzuschlagen. Wir sollten nicht so hitzig sein.

Auch ich hatte einmal Schwierigkeiten im Gewi-Seminar. Bei einer Diskussion sagte ich: „Wenn wir erst auf dem Weg zum Sozialismus wären, dann ...“ Ich wurde von der Seminarleiterin korrigiert, daß zwar die Sowjetunion auf dem Weg zum Sozialismus sei, die DDR aber nicht. Mir ging es eigentlich um die grundsätzliche Aussage, und ich formulierte: „Dann sind wir eben auf dem Weg zum Weg zum Sozialismus.“ Auch das war falsch. Ich wurde zum Parteisekretär bestellt und belehrt, obgleich ich noch gar nicht Genossin war.

Sechs Wochen später, als wir im Praktikum waren, wurde der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR verkündet. Ich konnte es mir nicht verkneifen, mich nach dem Praktikum beim Parteisekretär zu melden.

Gegen Studienende wurden mein Mann und ich von der FDJ-Leitung gefragt, ob wir nicht weiter an der Uni bleiben wollten. Ich wäre zwar lieber in die Praxis gegangen, aber mein Mann hatte Interesse, zu promovieren. Nachdem wir beide das Studium mit „Sehr gut“ abgeschlossen hatten, bewarben wir uns: mein Mann am Institut für Landtechnik, ich am Institut für Tierzucht. Damals entschieden die Institutsdirektoren allein über die Auswahl des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es gab eine Gruppe von sogenannten bürgerlichen Professoren, die lieber Assistenten haben wollten, die kirchlich gebunden waren, als solche, die sich, wie wir, politisch aktiv links gezeigt hatten. Dabei störte es sie auch nicht, wenn bei dem christlichen Nachwuchs die Studienergebnisse nicht so gut wie unsere waren. Jedenfalls wurden andere Kommilitonen uns vorgezogen.

Da am Institut für Agrarpolitik und Agrargeschichte ein Assistent und ein Aspirant fehlten, wurden wir dorthin vermittelt. Der Direktor des Instituts, Genosse Prof. Ritter, wollte nur meinen Mann als Assistenten einstellen, weil ein Mann immer verfügbar sei, Frauen aber in der Arbeit ausfallen könnten, wenn sie Kinder kriegen. Ich setzte mich zwar durch und wurde Assistent, bekam aber nach zwei Jahren tatsächlich mein zweites Kind. Ich nutzte die Gelegenheit, zu kündigen, was unserem Professor sicher nicht ungelegen kam. Es gab genug männliche Bewerber für diese Stelle.

Da ich nicht die Absicht hatte, Hausfrau zu spielen, bewarb ich mich beim Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN). Als ich dort antrat, war ich sehr erstaunt, als mir der Direktor erklärte, ich könne mit meinen Leitern, alles Männer, eventuell Schwierigkeiten haben dadurch, daß sie nicht genug Rücksicht auf meine familiären Pflichten nähmen. Ich solle mich in solchem Fall ruhig beschweren kommen. Der Direktor des ADN war damals Frau Deba Wieland! Ich hatte keinen Grund zur Beschwerde, nutzte aber diese Möglichkeit auch nicht aus, mir „mildernde Umstände“ zu verschaffen. Zu dieser Zeit arbeitete mein Mann zu Hause an seiner Dissertation und konnte unsere beiden Kinder betreuen, wenn ich Schichtarbeit hatte.

Die Absolventen unserer Fakultät suchten und fanden damals vorwiegend Arbeit an der Universität, in Verwaltungen, den Medien und anderen Institutionen, d. h. es ging kaum jemand in die Praxis. Man warb auch in anderen Wirtschaftszweigen unter der Losung „Industriearbeiter aufs Land“. Mein Mann diskutierte im Auftrag der Parteileitung mit den Studenten, um sie für die Arbeit in der Praxis zu gewinnen. Da wurde er eines Tages gefragt, warum wir nicht selbst dorthin gegangen seien. Wir redeten miteinander darüber und entschlossen uns, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Wir fuhren zu einer LPG im Kreis Jessen, die durch das Institut, in dem mein Mann noch tätig war, betreut wurde, und sahen uns den Betrieb erst einmal an. Dort sollte sich mein Mann zum Vorsitzenden wählen lassen. Der erste Eindruck war für mich unvergeßlich: Eine Kuh stand auf dem Heuboden, sah zur Luke heraus und brüllte. (Sie war wohl hungrig hochgestiegen und konnte nicht mehr herunter.) Auch an anderen Stellen sah einiges nicht so aus, wie es gelehrt wurde. Das Sagen in der Viehwirtschaft hatten die Melker. Wenn etwas nicht so gemacht wurde, wie sie es wollten, kündigten sie und zogen einfach zum nächsten Betrieb. Jeder brauchte ja Melker.

Auf der Dorfstraße trafen wir bei unserem ersten Rundgang einen Leitungskader der MTS; dort sollte ich als Zootechniker arbeiten. Der Genosse erklärte mir, wenn er gewußt hätte, daß es sich um eine Frau handelt, hätte er nicht zugestimmt. - Ich arbeitete ja noch beim ADN. Dort erschien eines Tages Bruno Wagner vom ZK der SED. Er erkundigte sich nach unserer Arbeit und erfuhr, daß ich in die Praxis wollte. Ich erzählte ihm, weil ich immer noch sauer war, von dem „freundlichen“ Empfang. Er meinte, ich solle mir das nicht so zu Herzen nehmen, dieser Genosse würde eines Tages auch noch eines Besseren belehrt.

Wir zogen also um in die LPG Axien, die, wirtschaftsschwach, von staatlicher Stützung abhängig war, und an der sich schon mehrere Vorsitzende versucht hatten. Diese LPG war bereits 1952 gegründet worden und bestand flächenmäßig vorwiegend aus zahlreichen sogenannten devastierten (verlassenen) Großbauernhöfen. Genossenschaftsbauern waren Mittel- und Kleinbauern und die ehemaligen Landarbeiter der Großbauern. Die Söhne der Großbauern waren als Traktoristen zur MTS gegangen. Das politische Klima im Dorf war gespannt. Die Frage „Wer – Wen“ war noch nicht entschieden. Später wurden aber auch die Großbauernsöhne Genossenschaftsmitglieder.

Wir meldeten uns in der Kreisleitung der SED und wurden vom Ersten Sekretär gefragt, was wir denn in Berlin ausgefressen hätten, daß man uns aufs Land schickt. Seine Reaktion auf unsere Erwiderung, daß wir freiwillig gekommen seien, war: „Wenn wir euch nicht hierhergelassen hätten, müßtet ihr heute noch das Gras aus den Pflasterritzen vom Alex kratzen.“ So, wie dieser Empfang, spielte sich leider auch die spätere Zusammenarbeit ab. Dieser Genosse rückte aber erst weiter auf zum Rat des Bezirkes, bis er dann später doch abgesetzt und zur Arbeit in die Kohle geschickt wurde. Arbeit in der Produktion galt damals in solchen Fällen als Strafe.

Nachdem wir mit Kind und Kegel in der LPG eingetroffen waren, stellte sich heraus, daß die Treppe zu unserer zukünftigen Wohnung erst teilweise demontiert werden mußte. Wir hatten zu große Möbel. Die Genossenschaftsbauern meinten, so könnten wir wenigstens nicht unbemerkt verschwinden. Sie trauten den Berlinern nicht zu, daß sie es lange aushalten würden.

Als ich den „freundlichen“ Genossen aus der MTS wiedertraf, berichtete ich darüber, was Bruno Wagner über ihn gesagt hatte. Er war furchtbar schockiert, dachte wohl, es gäbe nun im ZK eine „schwarze Liste“ mit seinem Namen. Ich ging natürlich nicht zur MTS, sondern arbeitete in unserer LPG als Viehzuchtbrigadier. Das erste Problem war der Tierarzt: „Mit einer Frau als Viehzuchtbrigadier kann ich nicht arbeiten, die kriegt das nicht hin.“ Es dauerte nicht lange, und wir arbeiteten zusammen, wie es besser nicht sein konnte. Er war ein älterer erfahrener Tierarzt, zeigte mir einige Tricks, wie ich ohne Probleme eine große Kuh für die Trächtigkeitsuntersuchungen festhalten mußte und welche Medikamente ich selbst verabreichen konnte, wenn es kleinere Probleme mit der Tiergesundheit gab. Er war selbst beim Skatabend für mich zu erreichen, weil er wußte, daß ich nicht unnötig seine Hilfe in Anspruch nahm.

Als ich mein drittes Kind bekam, organisierte ich im Dorf eine Kinderkrippe. Ich wollte ja weiter arbeiten, und es gab zu der Zeit weitere sechs Babys im Dorf. (Für sieben Babys durfte eine Kinderkrippe eingerichtet werden.) Die LPG baute ein Haus aus und beteiligte sich an der Einrichtung, denn wir brauchten damals jede Arbeitskraft. Diese sozialen Einrichtungen, so auch die Mittagsverpflegung für den Kindergarten im Ort und die Betriebsküche der LPG, waren zwar Kostenpositionen der Genossenschaft, aber notwendig, um die Frauen zu entlasten und damit für die Arbeit in der Genossenschaft zu gewinnen.

Das Arbeitskräfteproblem machte uns am meisten zu schaffen. Die Genossenschaftsbauern arbeiteten mit den Pferden oder Traktoren und versorgten so auch ihre individuelle Viehwirtschaft mit Futter. Sie holten sich, soviel sie wollten, von ihrem Acker und auch von den Feldern der LPG. Die Ehefrauen arbeiteten meist nicht mit und hatten Zeit, sich um die große individuelle Viehhaltung zu kümmern, die zusätzlich Geld einbrachte. Es gab im Dorf aber viele alleinstehende Frauen (meist Kriegerwitwen), die nach Feierabend mit dem Handwagen loszogen, um wenigstens etwas Futter für eine Ziege zu besorgen. Wir schlugen der Vollversammlung der LPG vor, daß die LPG Grünfutter und Heu im Dorf ausgibt, und zwar in Höhe der von jeder Familie geleisteten Arbeitseinheiten1. Das gab heftige Diskussionen bei denen, die eine besonders große individuelle Viehhaltung hatten. Aber durch die Zustimmung der alleinstehenden Frauen und der Genossenschaftsbauern meiner Viehzuchtbrigade, die ja auch nicht über Traktoren oder Pferde verfügten, um sich viel Futter zu beschaffen, wurde der Vorschlag von der Vollversammlung angenommen. Nun bekam jeder so viel Futter, wie er Arbeit für die Genossenschaft leistete. Die alleinstehenden Frauen im Feldbau waren zufrieden, sie hatten weniger schwere Arbeit, und es erklärten sich mehr Frauen bereit, in den Ställen zu arbeiten. So konnten wir dann auf die „Wandermelker“ verzichten, und in der Saison halfen sogar die Frauen der Kutscher und Traktoristen, um Arbeitseinheiten und damit mehr Futter für die gewinnbringende Hauswirtschaft zu erarbeiten.

Als wir in der LPG mit unserer Arbeit begannen, dachten wir oft, daß wir es in einem VEG leichter gehabt hätten, da brauchte man nur etwas anzuweisen und es wurde gemacht. In der LPG mußte man die Leute mühsam überzeugen. Später erkannten wir, daß die Menschen sich viel mehr für etwas einsetzen, wenn sie es selbst mit entschieden haben.

Die demokratische Erarbeitung von Beschlüssen wurde von uns entsprechend dem LPG-Statut organisiert Trotzdem hatte ich in den ersten Jahren vor jeder Vollversammlung mächtiges Herzklopfen, da es ja oft darum ging, Vorrechte Einzelner zugunsten aller Mitglieder zu beseitigen, und da gab es oft heftige Diskussionen und knappe Abstimmungsergebnisse. Die Vorteile der genossenschaftlichen Zusammenarbeit wurden aber für jeden Bauern in den 38 Jahren des Bestehens der LPG in der DDR so deutlich, daß die Agrargenossenschaft auch heute, zehn Jahre nach der sogenannten Wende, noch besteht.

In unserer LPG sollte auf Anregung des Rates des Bezirkes ein Konsultationspunkt für Weidewirtschaft eingerichtet werden. Man fragte mich, ob ich nach meinem Schwangerschaftsurlaub (damals 6 oder 8 Wochen) die Leitung übernehmen wolle. Mir war das ganz recht, denn ich wollte den Kollegen, der mich während meiner Freistellung vertreten hatte, nicht wieder ausbooten. Wir bauten unser Weidekombinat aus. Später wurde entschieden, daß es im Kreis nur einen Konsultationspunkt geben sollte, in einer anderen LPG. Der Direktor der MTS, dem der Konsultationspunkt unterstand, wurde vom Rat des Kreises angewiesen, mir zum 15 12 1961 zu kündigen. „Da Sie aus familiären Gründen nicht in der Lage sind, dort zu arbeiten...“ Das war eine neue Meisterleistung in bezug auf die Arbeit mit den Menschen. Meine drei Kinder freuten sich zwar, daß ich Weihnachten zu Hause war, aber ich war wieder mal sauer.

Ich begann im Januar erneut in unserer LPG zu arbeiten, organisierte die Kostenstellenrechnung, die Vergütung nach dem Leistungsprinzip und kümmerte mich um Vieh- und Futterwirtschaft. Mein Mann als Vorsitzender widmete sich vorwiegend der Technik und der Feldwirtschaft. Wir ergänzten uns also gut, und die LPG kam wirtschaftlich voran. Auch die uns gegenüber ehemals skeptischen Genossenschaftsbauern hatten inzwischen eingesehen, daß die genossenschaftliche Arbeit ihnen zugute kam. Als wir auch die noch einzeln wirtschaftenden Bauern (vor allem Kleinbauern) für die Genossenschaft warben, waren es in erster Linie deren Frauen, die in der Genossenschaft eine Möglichkeit sahen, durch geregelte Arbeitszeit entlastet zu werden.

Ein noch so erfolgreiches Berufsleben wäre aber für mich nichts gewesen ohne ein intaktes Familienleben. Mein Mann hatte immer Verständnis dafür, daß ich berufstätig sein wollte. Für ihn war klar, daß ich jede Arbeit schaffe. Selbst wenn ich manchmal seine Unterstützung haben wollte, sagte er meistens: „Das packst du auch alleine.“

Auf dem Dorf war es auch kein Problem, Beruf und Familienleben zu vereinbaren. Denn trotz mancher Schwierigkeiten mit einzelnen Genossenschaftsmitgliedern kümmerten sich doch alle um die Probleme der anderen. Mir konnte immer jemand sagen, wo mein Ältester, ein sehr selbständiges Kind, nach der Schule zu finden war. Es war auch kein Problem, daß die Kinder bei Freunden übernachteten, wenn wir ausnahmsweise mal beide unterwegs sein mussten. Zwischen Weihnachten und Neujahr war unsere Krippe geschlossen, weil die anderen Mütter nicht zu arbeiten brauchten. Da bot mir die Krippenleiterin an, mein Baby mit zu sich nach Hause zu nehmen. Sie hatte selbst drei Kinder.

Je besser es in der LPG lief, desto mehr machte die Arbeit Spaß, und wir konnten durch Einführung des Leistungsprinzips und soziale Verbesserungen weitere Fortschritte machen. Allerdings wurden meine Erfolge, ob in der praktischen Viehwirtschaft oder bei der Erarbeitung der Betriebsordnung, mit größter Selbstverständlichkeit meinem Mann gutgeschrieben - außer von den Kollegen, mit denen ich unmittelbar zusammenarbeitete. Das nahm ich hin. Sagte ich aber etwas, was die Funktionäre unserer Kreisleitung zur Kritik anregte, wurde nicht ich als Genossin, sondern mein Mann kritisiert. Er wußte oft nicht, worum es ging, und ich konnte mich nicht rechtfertigen, weil der Rat des Kreises und die Kreisleitung in mir nur „die Frau vom Brandt“ sahen. Zu dieser Zeit (Dezember '61) wurde gerade das Kommunique des Politbüros der SED „Frauen, der Frieden und der Sozialismus“ diskutiert. Ich schrieb über meine Probleme einen Artikel, der in der zentralen Ausgabe des ND veröffentlicht wurde. Da war ich bei Bezirk und Kreis mal wieder ins Fettnäpfchen getreten. Es war ja alles nicht so gemeint, und mir wurden mehrere Arbeitsstellen angeboten. Ich arbeitete aber weiter in unserer LPG.

In den fünf Jahren unserer Arbeit in der LPG hatten wir - trotz der vor allem anfangs schwierigen Situationen in der Genossenschaft - mehr Probleme mit dem Rat des Kreises, der Kreisleitung und den Bezirksorganen, als mit der Genossenschaft. Ursache dafür war die oft ungenügende Fachkenntnis der Funktionäre, so daß sie Weisungen stur durchsetzten, ohne die realen Bedingungen zu prüfen. So wurden uns z. B. trotz problematischer Futtersituation vom Rat des Kreises Ferkel in die Ställe gesetzt (ähnlich, wie es Strittmatters „Ole Bienkopp“ mit den Enten erging). Es war ja einfacher, sich auf Weisungen zu berufen, als selbst Verantwortung zu übernehmen. Wir hatten aber auch einen stellvertretenden Kreissekretär, Mitglieder der Kreisleitung und Instrukteure, die uns unterstützten. Andererseits gab es Funktionäre, die offensichtlich nur ihre Person herausstreichen wollten. So z. B. mit der unsinnigen Parole des Rates des Bezirkes „Mit Cottbusser und Jesewitzer Elan erfüllen wir schon 1960 den 65er Plan“, obwohl wir große Anstrengungen unternehmen mußten, den sechziger Plan zu erfüllen. Zum Glück existierten aber nicht nur solche Funktionäre, sonst hätten sie es doch noch geschafft, uns einfach „umzusiedeln“, wie es angedroht wurde. Wir hatten oft den Eindruck, daß „Intelligenzler“ generell als „ideologisch unsichere Kantonisten“ eingestuft wurden.

Nach fünf Jahren in „unserer“ LPG (verpflichtet hatten wir uns für drei Jahre) gingen wir nach Berlin zurück. Wir hinterließen eine wirtschaftlich starke LPG mit dem Wert der Arbeitseinheit von 10 Mark (1962 ein hoher Wert), ohne kurzfristige Kredite und mit einem hohen Guthaben bei der Bauernbank.

Nach unserem Umzug machte mein Mann erst mal Urlaub - den ersten seit fünf Jahren. Ich hatte Schwangerschaftsurlaub und nutzte die Zeit, meine beiden Ältesten beim selbständigen Aufräumen ihres Kinderzimmers anzulernen. Als unser sechsjähriger Sohn von seiner Lehrerin gefragt wurde, was die Eltern machen, erklärte er: „Mein Vater macht nischt, und meine Mutter ist ganz faul. Jetzt arbeitet sie nicht mehr, und da müssen wir das Zimmer selbst aufräumen.“ So sehen das eben Kinder.

Mein Mann ging zurück zur Universität, ich bekam unser viertes Kind. Da ich danach immer noch keine Ambitionen hatte, Hausfrau zu bleiben, meldete ich mich bei der VVB Tierzucht zum Tierzüchtleiterlehrgang an. Das war eine staatliche postgraduale Qualifikation, für die man diverse Voraussetzungen mitbringen mußte. Mir fehlte eine: die staatliche Leitungspraxis. Der Generaldirektor der VVB Tierzucht, Genosse Dr. Löffelbein, machte für mich als Frau mit langjähriger erfolgreicher Praxis eine Ausnahme und ließ mich zum Lehrgang zu. Damit waren wir zwei Frauen, davon eine, auf deren Fragebogen „z. Z. Hausfrau“ stand - ich. Eigentlich hatte ich ein Jahr Fernstudium hinter mir haben müssen, was ich nicht gewußt hatte. So kam ich direkt in den sechswöchigen Intensivlehrgang mit den anschließenden Prüfungen. Ich hatte noch nie so intensiv gepaukt, wie vor dieser Prüfung. Zur Abschlußfeier paßte mir kein Kleid mehr, so hatte ich abgenommen. In jedem Fach, praktisch und theoretisch, prüfte ein Spezialist des Gebietes. Es fielen eine ganze Reihe von Lehrgangsteilnehmern durch (auch Doktoren), aber ich schaffte es - zur Befriedigung des „Generals“, der mir ja die mildernden Umstände bei der Zulassung gewährt hatte. „Staatlich anerkannter Tierzuchtleiter“ war damals ein seltener, begehrter Titel. Ihn verdankte ich zwar vor allem meiner eigenen Leistung, aber auch dem Verständnis und der Unterstützung meines Mannes. Er hatte mir nicht nur Mut gemacht, mich dieser Aufgabe zu stellen („Das schaffst du!“), sondern nahm mir während der sechs Wochen auch die gesamte Hausarbeit und die Versorgung unserer vier Kinder ab, damit ich mich voll aufs Lernen konzentrieren konnte.

Schon während des Lehrgangs kam der Kaderleiter des Zentralen Landwirtschaftsrates der DDR, um Kader zu werben. Ich paßte ihm gut ins Konzept, denn der damalige Minister, Georg Ewald, war bemüht, in seinem Bereich etwas für die Gleichberechtigung zu tun. Außerdem hatte ich Praxiserfahrung, die auch sehr gefragt war. Eigentlich wollte ich ans Tierzuchtinstitut der Universität. Trotzdem sagte ich schließlich doch dem Zentralen Landwirtschaftsrat zu, allerdings erst nach bestandener Prüfung, und, weil man mir die Stelle des Zuchtleiters für Schafe anbot. Auf dem Gebiet hatte ich bereits praktische Erfahrungen. Trotzdem war mir angesichts dieser großen Aufgabe zunächst etwas mulmig zumute. Aber mein Mann meinte auch diesmal: „Das schaffst du schon“ und behielt wieder recht. Das Arbeitsgebiet war interessant, ich war viel in der DDR unterwegs und kam mit den Kollegen und Genossenschaftsbauern gut klar. Etwas schwieriger war es mit den Schafscherern, meist hünenhaften Gestalten, da hatte unser Kraftfahrer oft Angst um mich, wenn die Diskussion zu heiß wurde.

Glücklicherweise hatte mein Mann an der Universität eine geregelte Arbeitszeit, so daß er früh und abends die Kinder betreuen konnte, wenn ich unterwegs war. Selbstverständlich erledigte er auch sonst die schweren Hausarbeiten, holte Kohlen aus dem Keller, heizte, brachte die Wäsche zur Annahmestelle und holte sie wieder ab. Die Kinder wurden beizeiten daran gewöhnt, selbständig im Haushalt zu helfen. Wir hatten im Haus einen guten Kinderarzt, das ersparte viel Zeit und Lauferei. Allerdings kam es gelegentlich doch vor, daß der Älteste „wegen Magenschmerzen“ nicht zur Schule gehen konnte, wenn eines der Kleinen etwas Fieber hatte und ich zu einem dringenden Termin mußte. Trotzdem war ich abends manchmal so geschafft, daß ich beim gemeinsamen „Sandmännchengucken“ einfach auf der Couch einschlief. Dann schlichen sich die Kleinen leise aus dem Zimmer und gingen ins Bett, ohne mich zu wecken. Hektik hat es in unserer Familie aber niemals gegeben. Wir standen rechtzeitig auf, frühstückten ordentlich und hatten dann noch Zeit, zum Kindergarten zu trödeln. Für die Wochenenden pachteten wir in der Nähe von Berlin ein Grundstück. Dort konnten die Kinder ausgiebig toben. Denn vor allem die Älteren vermißten in Berlin die Freizügigkeit, die sie vom Dorf gewöhnt waren.

Aufgrund eines Ministerratsbeschlusses wurde der Zentrale Landwirtschaftsrat der DDR in das Ministerium für Land- Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft umgebildet (Ende 1966). Damit veränderte sich z. T. die Aufgabenstellung. Der Stellvertreter des Ministers, Heinz Kuhrig, war mit der Umstrukturierung beauftragt. Aus den vorwiegend operativen Bereichen wurden Frauen „abgegeben“, da sie ja angeblich nicht flexibel genug arbeiten konnten. Im Ministerium versuchte man das möglichst unauffällig zu machen, da man Sorge hatte, Minister Ewald wurde dazwischenfunken, wenn er das erfuhr. Ich bekam drei Stellenangebote nachgewiesen und entschied mich für die nachgeordnete Einrichtung Institut für Ökonomik und Preise. Dort landeten schließlich fünf wissenschaftliche Mitarbeiterinnen aus dem Ministerium. In dieser Arbeitsstelle (deren Namen sich mehrmals änderte, zum Glück aber nicht die Aufgabenstellung) hatte der Leiter keine Vorurteile gegenüber Frauen, obgleich man doch etwas besser sein mußte als ein Mann in gleicher Position. Schließlich wurde aber der Leiter an den Arbeitsergebnissen seiner Einrichtung gemessen, und das war für ihn entscheidend.

Bei der Arbeit im zentralen Staatsapparat kam mir die Erfahrung aus der LPG sehr zugute, daß sich gemeinsam erarbeitete Vorschläge leichter durchsetzen lassen. So war die Zusammenarbeit mit fast allen Kolleginnen und Kollegen in den Dienststellen, in Bezirken und Kreisen und nicht zuletzt in den Landwirtschafts- und Verarbeitungsbetrieben gut, war erfolgreich und machte Spaß. Ich arbeitete in dieser Einrichtung bis zum Rentenalter. Es gab aber auch bei uns Frauen, die sich nicht genug anerkannt fühlten, wie ich es einschätzte, aber zu Unrecht. Ich habe ohnehin etwas gegen die sogenannte Quotenregelung. Gleiche Chancen für Frauen wie für Männer müssen sein. Entscheidend aber sind die Kompetenz und das Durchsetzungsvermögen im Interesse der Lösung anstehender Aufgaben und nicht das Geschlecht.

Wie angedeutet, gab es während meiner Berufstätigkeit viele Schwierigkeiten und Probleme - die hier angeführten waren nicht die größten -, aber man hatte die Möglichkeit, sie zu lösen, und ich könnte mir kein interessanteres und schöneres Berufsleben vorstellen. In dieser ganzen Zeit hatte ich trotz unserer fünfköpfigen Kinderschar mit der Familie die wenigsten Sorgen.

Alle fünf waren in Kinderkrippen und Kindergärten, haben dort mit anderen zusammen gleichzeitig auf dem Topf gesessen (was heute von sogenannten „Psychologen“2 als Grund für spätere Gewaltbereitschaft gesehen wird), haben dort aber auch viel gelernt. D. h. sie sind nicht nur „aufbewahrt“ worden, wie das heute von Müttern oft beklagt wird. In der Ganztagsschule lernten sie, ihre Hausaufgaben selbständig zu erledigen. Sie haben regelmäßig schöne Ferien in Betriebsferienlagern erlebt und waren verschont von Rauschgift und ähnlichen Problemen (daher war ich damals zufrieden, daß es die „Mauer“ gab, die meine Kinder vor solchen Einflüssen schützte). Sie sind trotz oder vielleicht gerade wegen meiner ständigen Berufstätigkeit (ohne regelmäßigen Achtstundentag und mit häufigen Dienstreisen) tüchtige, selbständige Menschen geworden, die heute vor anderen, aber viel schwierigeren Problemen stehen, als wir sie damals in der DDR hatten.

Anneliese Brandt   


1 Maßstab der Vergütung

2 Der westdeutsche Professor Pfeifer will den Grund für die gegenwärtig hohe Gewaltbereitschaft ostdeutscher Jugendlicher herausgefunden haben: das frühere gleichzeitige Auf-dem-Topfchen-Sitzen in Kinderkrippen und Kindergärten der DDR.


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