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Ulrich Lieb 

Die Zeit der Runden Tische

 Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 war in der DDR nichts mehr so wie vor diesem Datum. Zwar bestanden noch die bisherigen Strukturen auf kommunaler Ebene, aber eine große Unsicherheit machte sich breit. Die Volksvertreter in den Rathäusern und in den Räten der Kreise waren - aus meiner Sicht - dreifach verunsichert.

1.  Sie wußten nicht mehr, inwieweit ihr Mandat noch tragfähig ist, da öffentlich immer lauter von Wahlfälschung bei den letzten Kommunalwahlen in der DDR die Rede war.

2.  Die in der DDR-Verfassung garantierte Vorherrschaft der SED wurde immer mehr in Frage gestellt und schließlich durch die Volkskammer abgeschafft.

3.  In den Behörden wußte keiner mehr so recht, wer noch Weisungsberechtigung hatte.

 Auf Grund dieser Verunsicherungen kam es auf Stadt-, Gemeinde- und Kreisebene zur Bildung von sogenannten ‚Runden Tischen’. Vorbild war der zentrale Runde Tisch in Berlin. Dort waren die Vertreter der neuen Bürgerrechtsbewegungen und neugegründeten Parteien mit den Vertretern der bekannten Parteien und Massenorganisationen der DDR versammelt.

Die teilweise turbulenten Rund-Tisch-Treffen in Berlin konnten über das Fernsehen der DDR verfolgt werden und zogen großes Öffentlichkeitsinteresse auf sich.

In Berlin wurden die Treffen des Runden Tisches von Vertretern der Kirchen moderiert. Dieses Modell wurde weithin auf die kommunale Ebene übertragen. So wurde ich als katholischer Pfarrer der Stadt Schönebeck vom Runden Tisch im Rathaus beauftragt - zusammen mit einem evangelischen Pfarrer - die Treffen dort zu moderieren. Auf Kreisebene wechselten sich Vertreter der sogenannten Blockparteien ab.

Dort nahm ich als Vertreter unserer Kirche teil.

Die Runden Tische trafen sich meist wöchentlich vom Spätherbst 1989 bis zur ersten freien Volkskammer- und Kommunalwahl im März 1990.

Mir ist diese Zeit in guter Erinnerung. Am Runden Tisch wurde versucht, sich in ,Spielregeln’ der Demokratie zu üben. Das war nicht immer einfach, aber es war ein hilfreicher Lernprozess. Wir waren auf uns selbst gestellt. Es saßen keine ‚westlichen Lehrmeister’ mit am Tisch. Manchmal meinten allerdings ,Politprofis’ der DDR, sich als Schulmeister aufführen zu müssen. Das führte auch zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Vormachtstellung der SED war an den Runden Tischen, die ich kennenlernte, durchaus noch spürbar. Wenn auch offiziell nur ein Vertreter der alten SED in der Runde saß, so war doch allein durch die Vertretung der Massenorganisationen, wie FDGB, DFD, FDJ und andere, die SED-Parteizugehörigkeit dominierend.

Ich habe diese Tatsache beanstandet und so kam es schließlich zu einer ausgewogeneren Verteilung der Sitze. Meinungsäußerungen von Vertretern der neuen Parteien und Bewegungen, zum Beispiel Neues Forum und SPD, bekamen dadurch ein größeres Gewicht.

Wenn ich heute darüber nachdenke, welche Beschlüsse am Runden Tisch gefasst wurden, so kann ich sagen: So gut wie keine. Aber als richtungweisend zeigten sich die Runden Tische durchaus.

Beschlußfähig konnte das Gremium ‚Runder Tisch’ nicht sein. Dafür fehlte ihm ein Rechtsstatus und das ausdrückliche Mandat der Bevölkerung.

An den Runden Tischen wurden Meinungen ausgetauscht und manchmal vorschnelle Beschlüsse durch die bestehenden Volksvertretergremien verhindert oder in verbesserter Form auf den Weg gebracht.

Ein sehr konkreter Beschluß wurde allerdings am Runden Tisch vorbereitet und durch den Bürgermeister und seinen Stadtrat beschlossen: die Städtepartnerschaft zwischen Schönebeck in Sachsen-Anhalt und Garbsen in Niedersachsen.

Ansonsten ging es meistens darum, Verständnis für unterschiedliche politische Auffassungen zu gewinnen und Verantwortungsbewußtsein neu zu erlernen. Mir ist noch lebhaft in Erinnerung, dass die Vertreterin des DFD sehr vehement verlangte, es solle eine zentrale Frauentagsfeier in der Stadt veranstaltet werden. Es wurde ihr am Runden Tisch deutlich gemacht, dass solche Feiern nicht mehr ,von oben’ organisiert, durchgeführt und bezahlt werden, sondern dass sich der DFD selber um solche Feier kümmern müsse. Dieses kleine Beispiel zeigt, wie schwer es fiel, das Bewußtsein von Eigenverantwortung zu erlangen oder wiederzugewinnen und danach zu handeln. Schließlich wurde bisher immer alles durch ,die Partei’ geregelt.

Zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ,alten’ und ,neuen’ Kräften kam es, als gefordert wurde, mit den wöchentlichen Montags-Demonstrationen - die in unserer Stadt übrigens am Mittwoch stattfanden - endlich aufzuhören. Natürlich gingen die Demos weiter. Sie waren wichtige Willenskundgebungen.

Während der Zeit der Runden Tische sprachen bei meinem evangelischen Kollegen und mir viele Bürger vor. Wir sollten deren Anliegen und Sorgen zur Sprache bringen. Dies haben wir auch getan. So spiegelten sich in den Beratungen am Runden Tisch berechtigte aber auch unnötige Sorgen der Bevölkerung wider.

Ich erinnere mich an drei Begebenheiten besonders: Die Ehefrau eines leitenden Mitarbeiters der Staatssicherheit in Schönebeck hatte Angst, obdachlos zu werden. Ein Betriebsleiter fürchtete, seinen Job zu verlieren. Eine einfache Frau brachte schon damals ihre Sorge zum Ausdruck, dass mit der Öffnung der Grenze nun auch Drogen, Armut und Obdachlosigkeit bei uns zu Problemen werden könnten. Wir sollten am Runden Tisch alle diese Nöte verhindern.

Da war der Runde Tisch natürlich überfordert. Es wurde aber über alles gesprochen. Nichts fiel einfach ,unter’ den Runden Tisch. Das Resümee meiner Erinnerungen an diese kurze, jedoch äußerst intensiv erlebte Zeit kann ich so ausdrücken: Es war ein spannendes, manchmal mühsames Ringen im demokratischen Meinungsaustausch und in der Erarbeitung von Empfehlungen und Richtlinien. Gerade deshalb war es so eine wertvolle Zeit.

Ich habe bis heute nicht ganz verstanden, weshalb nach den Volkskammerwahlen im März 1990 wir Moderatoren und andere Vertreter des Runden Tisches nie von den neugewählten Volksvertretern nach unseren Erfahrungen aus dieser interessanten Zeit gefragt wurden.

Den Vertretern der westlichen Demokratie wurden die Türen weit geöffnet. Sie gaben ab sofort den Ton an.

Dennoch: Das mühsame und doch faire Ringen um tragfähige Kompromisse und Übereinkünfte in den Anfängen der Demokratie hierzulande war lohnend.

Heute vermisse ich dies manchmal im allgemeinen Parteienstreit. Was sich mir heute oft genug als kleinkariertes Parteiengezänk darstellt, gab es so in der Zeit der Runden Tische nicht. 


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