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Hubert Moser

 Selbst Herr Stolpe musste Farbe bekennen

 Schon 1995 gab es in Prenzlau den misslungenen Versuch, den Namen „Geschwister Scholl“ einer Straße zu entziehen und diese wieder, wie seit alters her, „Prinzenstraße“ zu nennen, da hier angeblich im 18.Jahrhundert ein Prinz für längere Zeit Quartier bezogen hatte. Diese Absicht konnte verhindert werden. Ende 1995 glaubten die Prenzlauer, das seit der Wende andauernde Gerangel um Straßennamen sei nun als abgeschlossen zu betrachten. Aber da hatte man wohl die Rechnung ohne unseren Bürgermeister gemacht, der fast krankhaft nach weiteren Möglichkeiten suchte, für ihn unerwünschte Namen aus der Stadt zu verbannen.

(Anmerkung der Redaktion:

Nach Angaben des Autors wurden von 1990 bis 1995 auf Betreiben des Bürgermeisters (SPD), der sich des Prenzlauer Geschichtsvereins als Instrument bediente, besonders zweier Vereinsmitglieder aus dem Westen (ehemalige Prenzlauer Bürger, ein Geschichtslehrer und ein Hobby-Heimathistoriker) zunächst die Namen Thälmann, Lenin, Engels und Georg Littmann (von Nazis ermordeter Prenzlauer Antifaschist) von den Straßenschildern getilgt. Es durfte auch keine „Straße der Republik“ und „Straße der Freundschaft“ mehr geben. Im zweiten Anlauf wurden Wilhelm Pieck, August Bebel, Pestalozzi und Puschkin aus dem Straßenverzeichnis verbannt, desgleichen eine „Straße der Jugend“. Beim dritten Anlauf ging der Streit um „Straße des Friedens“, „Friedenskamp“, ferner um die Geschwister Scholl, Heinrich Heine, den Pädagogen Adolf Diesterweg, den altliberalen Antifaschisten Dr. Wilhelm Külz, um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Rudolf Breitscheid sowie um die durch KZ und Zuchthaus gegangenen Prenzlauer Antifaschisten Georg Dreke und Robert Schulz, (beide „Aktivisten der ersten Stunde“, denen die vom Krieg zu 80 Prozent zerstörte Stadt viel zu verdanken hatte), und das Prenzlauer Kapp-Putsch-Opfer Richard Steinweg. Aber jetzt entstand aus den Reihen der Bürger eine starke Protestbewegung, und am Ende blieben bis auf Karl Liebknecht alle unter dem Stichwort „dritter Anlauf“ aufgeführten Namen auf dem Stadtplan. Die Bilderstürmer wollten natürlich auch Karl Marx eliminieren, scheiterten aber an der Kreisverwaltung des neuen Kreises Uckermark (CDU-Landrat), die sich gerade in der Karl-Marx-Straße sehr aufwendig etabliert hatte und wegen der hohen Folgekosten einer Umbenennung auf Beibehaltung des Namens bestand.)

Ende Februar 1998 erhielten die Stadtverordneten eine Mitteilungsvorlage des Bürgermeisters, aus der die Absicht zu entnehmen war, den Namen der Kindertagesstätte „Geschwister Scholl“ in „Spatzennest“ umzuwandeln. Dabei bezog man sich auf das 25-jährige Bestehen der Einrichtung im September 1997, aus dessen Anlass sich „das Team der Einrichtung einig (war), dass der Name ... den Kindern ... schwer zu vermitteln ist. Die Kinder können sich mit dem Namen „Geschwister Scholl“ nur schwer identifizieren.“ Weiter hieß es: „Auf Grund dessen wurde in einer Dienstberatung darüber gesprochen, den Kindern und Eltern ... eine Umbenennung der Kindertagesstätte vorzuschlagen.“

Zwei anonyme Anrufe von Bürgern veranlassten mich, am 11.3.98 eine Anfrage in die Stadtverordnetenversammlung (SVV) einzubringen: „Vor zwei Wochen und heute haben mich zwei verschiedene Bürger telefonisch darauf hingewiesen, dass unter weitgehender Abschirmung gegenüber der Öffentlichkeit an der Absicht gearbeitet wird, die Kita „Geschwister Scholl“ ihres derzeitigen Namens zu entbinden. Beide Anrufer baten mich um Verständnis, dass sie ihre Namen nicht kundtun können, da dies angeblich ,unangenehme Konsequenzen’ für andere Personen haben würde. In der Kita sollen entsprechende Androhungen gemacht worden sein, die nach Aussagen beider Anrufer von der derzeitigen Leiterin ausgehen sollen ...“. Es folgten in der Sache sieben konkrete Fragen.

Die Presse griff diese Angelegenheit auf und zitierte neben meinen Aussagen in der SVV auch die Meinung des Bürgermeisters dazu Angeblich gingen die Aktivitäten „nicht zuletzt“ auf Elternwünsche zurück und auf das Problem, „dass die Kindergärtnerinnen den Mädchen und Jungen nur schwer den Namen ihrer Einrichtung vermitteln könnten.“ Meine Erwiderung wurde wörtlich zitiert „Ich traue mir sehr wohl zu, Kindern in diesem Alter zu erklären, wie schlimm Krieg ist und wie schön es ist, dass es Menschen gibt, die sich gegen Kriege auflehnen. Wenn eine Kindergärtnerin dies nicht erklären kann, sollte sie ihre Stellung aufgeben.“

Ich hatte nie für möglich gehalten, dass dieser Schritt in die Öffentlichkeit eine derartige Diskussionswelle auslösen würde. Bis Ende Juli beschäftigte das Problem die Presse und damit zahlreiche Bürger, die sich in Leserbriefen zur Sache positionierten. Die meisten Wortmeldungen drückten Ablehnung, ja sogar Empörung über die bestehende Absicht einer Namensänderung und die damit verbundenen Begründungen aus. Immer mehr wurde deutlich, dass die Initiative vom Rathaus ausgegangen sein musste. Eltern hielten sich aus der Diskussion heraus. Die Leiterin der Einrichtung wollte sich in der Zeitung nicht zu den Beweggründen äußern. „Kein Kommentar“ (Prenzlauer Zeitung vom 20 3 98). Auch Anfang Mai ist sie zu einem klärenden Gespräch nicht bereit, obwohl sie einräumt, dass nicht Eltern, Kinder und Mitarbeiterinnen allein den Wunsch zur Umbenennung hatten, sondern die Möglichkeiten mit den „Partnern“ gemeinsam beraten wurden. Als ersten Partner nennt sie den Träger, die Stadt Prenzlau. Alle Seiten dementierten, Auslöser des Vorgangs gewesen zu sein. Der „schwarze Peter“ wurde ständig hin und her geschoben.

Starken Eindruck hinterließ besonders das Engagement von Frau Kanstein, Gattin des Prenzlauer Superintendenten, die sich in einem offenen Brief symbolisch direkt an Sophie Scholl wandte, und den sie nicht nur der Presse (PZ vom 27 3 98), sondern als Kopie auch dem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe zustellte.

Neben einem der westlichen „Nachwenderatgeber“ (vgl. obige Anmerkung der Redaktion), Oberstudienrat i. R. aus Buchholz bei Hamburg, schrieben aber auch einige Bürger an die Zeitung und bekundeten Zustimmung zu den Umbenennungsabsichten bzw. kritisierten den vehementen Einsatz der Frau des Superintendenten. Aber weit mehr Bürger, z. B. der bei Prenzlau lebende Schriftsteller Jean Villain, meldeten sich warnend zu Wort. Empörte Reaktionen auf die Meinung der Befürworter nahmen zu. Neben einem Pastor positionierte sich auch die gesamte Führungsspitze der Kreisverwaltung gegen die Namensänderung (Landrat und drei Beigeordnete). Die Zeitung „Junge Welt“ (9 /10 5 98) griff das Problem auf und druckte ein Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der PDS ab. In der Aprilausgabe der „Prenzlauer Drucksachen“, einer PDS-Zeitung, wandte ich mich noch einmal mit einer umfassenden Darstellung der Situation an die mehr als 2 000 Leser des Blattes und fügte den Brief von Frau Kanstein hinzu.

Die Fraktionen der SVV Prenzlau hatten sich inzwischen unter dem Druck der öffentlichen Meinung alle von der Absicht eines Namenswechsels distanziert. Trotzdem blieb dessen eigentlicher Initiator bis heute unbekannt. Die meisten an der Diskussion Beteiligten waren sich aber weitgehend einig, und der Verdacht richtete sich gegen eine Person, den Bürgermeister.

In der SVV am 27 5 98 gab es durch den Vorsitzenden der PDS-Fraktion eine klare und unmissverständliche Anfrage an ihn:

„Haben Sie oder ein Vertreter der Verwaltung die Umbenennung der Kita „Geschwister Scholl“ angeregt? Und haben die Mitarbeiter der Einrichtung in vorauseilendem Gehorsam die Namensänderung auf den Weg gebracht?“

So klar wie die Anfrage, so unklar war die Antwort des Burgermeisters in der SVV am 8 7 98, garniert mit kleinen Giftspritzen, vor allem gegen die Fraktion, aus der die Anfrage kam:

„Der gesamte Vorgang um die Umbenennung der Kita-Einrichtung „Geschwister Scholl“ ist ein demokratischer, durch Gesetze legitimierter Vorgang vom Anfang bis zum Ende gewesen. Weder der Bürgermeister noch seine Angestellten in der Kindereinrichtung haben ein Fehlverhalten gezeigt. In Prenzlau sind die Gedanken frei. Es gibt kein Diktat und keinen ,vorauseilenden Gehorsam’ - also genau das Gegenteil von dem, was beim Diktat der Namensverleihung geherrscht hat. Grundsätzlich weise ich alle Angriffe, gegen wen auch immer, innerhalb meiner Zuständigkeit zurück. Grundsätzlich verurteile ich Aussagen, die weder der Sache noch unserem demokratischen Aufbau dienlich sind (??!) Im Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters der Stadt Prenzlau ist dieser auch verantwortlich. Die Erzieherinnen und Eltern der Kindereinrichtung „Geschwister Scholl“ haben ein ihr (?!!) garantiertes Recht ausgeübt. Als Bürgermeister der Stadt Prenzlau fördere ich mit allen mir zustehenden (?!) Kräften die demokratische Entwicklung unserer Stadt. Einem Diktat anderer, die der Gesellschaft wieder Tabus vorschreiben wollen, wie wir sie über 40 Jahre zu ertragen hatten, werde ich mich nicht beugen. In der Sache ist eine demokratische Entscheidung getroffen worden. Das habe ich als Bürgermeister und Demokrat zu akzeptieren. Der Verwaltungsvorgang ist damit für mich beendet.“ (Zeichen in Klammern von H. M. )

Eigentlich hätte die Antwort kürzer ausfallen können, nämlich: Das geht euch gar nichts an! Hier bin ich der Bürgermeister, und was ich mache, ist richtig und hat grundsätzlich demokratisch zu sein! Basta!

Offenkundig auf dessen Drängen gab es für den 11 07 98 eine Einladung zu einer Talkrunde mit dem Ministerpräsidenten Dr. Manfred Stolpe in Prenzlau. Das Mit glied des Landtages Dr. Karsten Wiebke (SPD) sprach die Einladung aus und leitete das Gespräch zum Thema „Sind Namen Schall und Rauch? Vom Umgang mit Namen und Vermächtnissen im Spiegel unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“

Eingeladen waren die Bürger, die sich in der Öffentlichkeit gegen die Umbenennung der Kita „Geschwister Scholl“ ausgesprochen hatten, aber auch der Bürgermeister, Mitarbeiter der Kita sowie Eltern von Kindern der Einrichtung. Während die Gegner der Namensänderung zahlreich erschienen waren, fehlten deren Betreiber ausnahmslos. Der Bürgermeister delegierte seinen ersten Stellvertreter, der sich an der Aussprache zur Sache nicht beteiligte.

Das Gespräch drehte sich natürlich auch um die bereits in den Vorjahren erfolgten Straßenumbenennungen. Nicht nur über die Bewertung von Namen wurde diskutiert, sondern auch über die Notwendigkeit demokratischer Methoden bei derartigen Vorgängen. Ministerpräsident Stolpe mahnte zum verantwortungsbewussten Umgang mit Namen, auch solcher aus der Vergangenheit. Er forderte zur Sensibilität und Wachsamkeit auf und begrüßte nachdrücklich „das Bemühen von engagierten Abgeordneten und Bürgern, die eine Torheit verhindern halfen“.

Ob unser Bürgermeister damals die Meinung des Landesvaters überhaupt zur Kenntnis genommen hat, ist offen. Zu erkennen gab er es jedenfalls nicht. Übrigens war Selbstkritik nie seine Stärke. Fest steht aber, dass er mich seit diesem Vorgang besonders in sein Herz geschlossen hatte.

Die „junge Welt“ griff das Problem noch einmal auf und veröffentlichte am 13.7.98 ein Interview mit Dr. Karsten Wiebke, überschrieben: „Keine Umbenennungsdebatte mehr oder doch?“ Er bekannte sich darin eindeutig zur Beibehaltung des Namens der Kita, aber seinen Äußerungen konnte man nicht entnehmen, dass er sich mit seinem Parteifreund, dem Bürgermeister von Prenzlau, kritisch auseinandergesetzt hätte. Auf den Anstoß der Zeitung. „Gemutmaßt wird auch, dass die Initiative zur Umbenennung aus der sozialdemokratisch regierten Stadtverwaltung selbst gekommen ist.“ reagierte er etwas unsicher, aber aalglatt: „Soweit ich informiert bin, ist das nicht direkt (!) so. Die Stadtverwaltung hat meines Wissens alle Einrichtungen irgendwann (!) einmal gebeten (!), über ihren Namen nachzudenken, über Inhalte und gegebenenfalls auch über Umbenennungen. Und das ist legitim.“ - Na also, nun war ja wieder alles klar!!

Facit: Auch Ossis resignieren nicht nur, sondern sind durchaus widerborstig, wenn man ihren Nerv trifft. So ist auch zu erklären, dass die Prenzlauer kürzlich ihren hier vorgestellten Bürgermeister in der Stichwahl zugunsten des PDS-Kandidaten abwählten. 


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