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Bücherverbrennung

(Weimar)

 

Ich war Studentin am Institut für Lehrerbildung in Weimar, und wir standen mitten in den Semesterprüfungen. Am 17. Juni 1953 begannen um 7 Uhr die Psychologieprüfungen. Ich mochte dieses Fach sehr und wollte unbedingt ein „Sehr gut" schaffen - die Vorzensuren hätten es ermöglicht. Ich schaffte es nicht. Unter Lehrern und Studenten herrschte eine sehr unruhige Atmosphäre.

Nach der Prüfung kehrten wir zum Institut zurück. Ohne mich an alle Einzelheiten erinnern zu können, weiß ich doch so viel: in der Stadt ging es heiß her. Arbeiter aus den Betrieben, Studenten von Fach- und Hochschulen, vor allem der Musikhochschule und der Hochschule für Architektur, sowie viele andere, die nicht zuzuordnen und z. T. offensichtlich nicht aus Weimar waren, bevölkerten Straßen und Plätze. Es wurden Reden gehalten, deren Sinn wir oft nicht erfaßten, und es gab Gebrüll, Zerstörungen, Brandstiftungen und Prügeleien. Wir begriffen wohl, daß es gegen die Regierung ging, verstanden aber durchaus nicht, warum. Eines aber verstanden wir: Zerstörung, Brandstiftung, Schlägereien, das alles kann nicht gut sein; also waren wir dagegen! Mit Luftgewehren bewaffnet, bewachten wir unser Institut, wollten so jeden Angriff auf unser Objekt verhindern. Fassungslos beobachteten wir, wie ältere Studenten Stapel von Büchern auf die Straße schleppten und sie johlend anzündeten. In einer Studentenvollversammlung forderten wir später die Exmatrikulation der drei Anführer und setzten sie durch.

Die meisten dachten wie ich: wir hatten die schwere Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt, erstmals ging es uns gut, hatten wir ausreichend zu essen, eine Bleibe, durften sogar auf Kosten des Staates studieren. In unserer Jugendorganisation fühlten wir uns wohl. Treffpunkt war das Jugendklubhaus, das für jeden etwas bot. Kurz, was da eigentlich vor sich gegangen war, das konnten wir weder begreifen noch gutheißen.

Für mich kam noch etwas anderes hinzu. Bereits als Kind hatte ich durch meine Mutter Menschen kennengelernt, die viele Jahre in den Konzentrationslagern Buchenwald und Auschwitz zugebracht hatten und über ihre schrecklichen Erlebnisse während der Haftzeit berichteten. Im November 1952 war ich zum ersten Mal im ehemaligen KZ Buchenwald gewesen - vor seiner künstlerischen Umgestaltung zur Gedenkstätte. Ich empfand noch immer unbeschreibliches Entsetzen darüber, wozu Menschen fähig sind und schämte mich einem Volk anzugehören, das so etwas geduldet hatte. Erst Jahre später, auch durch Gespräche mit den Betroffenen, lernte ich zudifferenzieren. Doch mir blieb ein tiefer Abscheu vor solchen faschistischen Untaten. Und was sich an Gewaltakten an diesem 17. Juni 1953 vor unseren Augen abspielte, gehörte für mich dazu.

Ulrike Rath 


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