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Der Berliner Tierpark 

Dem Fest in Friedrichsfelde galt mein Interesse: Offiziell wurde der 45. Jahrestag der Eröffnung des Berliner Tierparks gefeiert. Viele trafen sich da, die nach dem Krieg zu Hammer und Schaufel gegriffen hatten, um Kalk von den verbrannten Ziegeln zu hacken oder den Schutt aus dem Weg zu schaufeln. Und dann - das war immerhin schon neun Jahre, nachdem die letzten Schüsse in Berlin verhallt waren - wurde dazu aufgerufen, einen Tierpark zu schaffen, und viele, die längst in neuen Betrieben an den Maschinen standen oder in Büros an der Verwaltung der Stadt beteiligt waren, suchten die alten Hosen und Hemden wieder hervor und kramten nach Hammer und Schaufel.

Ich habe Wilhelm Pieck Ende der Vierziger Jahre zum ersten Mal über dieses Projekt reden hören. Ich fand darüber weder Dokumente noch Notizen. So bleibt mir nur, meine Aussage unter Eid zu Papier zu bringen: Wilhelm Pieck beschäftigte die Frage, wie man Kindern im Ostteil der Stadt die Möglichkeit sichern könnte, Elefanten oder Löwen zu bestaunen und sich über die Späße der Affen zu freuen.

Foto. Gisela Dutschmann, aus Schulz/Grabner: Berlin Architektur von Pankow bis Köpenick, S 154


Schloß Fnedrichsfelde

 Die Idee für einen solchen Tierpark war übrigens nicht neu. Schon 1929 hatte sich ein „Verein zur Förderung eines Volkstierparks in Groß-Berlin e. V.“ gegründet. Im Vereinsantrag las man: „Es handelt sich darum, für die Werktätigen, namentlich für die in den östlichen und nördlichen Teilen Großberlins wohnhafte Arbeiterbevölkerung, einen Tierpark zu erstellen, der, volkstümlich gehalten, allgemein beliebte und sehenswerte Tiere gegen ein möglichst geringes Eintrittsgeld zeigen soll.“

Zu denen, die dem Verein spontan ihre Unterstützung zusagten, gehörten Käthe Kollwitz, der Schriftsteller Alfred Döblin - Autor des Bestsellers „Berlin Alexanderplatz“ - und der Karikaturist Paul Simmel. Ein Motiv dafür dürften die Erfahrungen der Jahre 1922 und 1923 gewesen sein, als die den Zoo betreibende Aktiengesellschaft kurzerhand die Tore verriegelt hatte, weil die Inflation keinen Gewinn mehr eintrug. Der Magistrat hatte sich damals bereit erklärt, den Zoo zu übernehmen, aber die Aktionäre winkten ab: Sie „wickelten“ statt dessen einen Teil des Tierbestandes ab und verkauften die attraktiven Grundstücke, die zu den Straßen hin lagen.

Aber: Der Antrag wurde abgelehnt, für ihn stimmten nur die Fraktionen der KPD und der SPD.

 

25 Jahre später wurde das Projekt von der DDR in Angriff genommen. Beschlossen vom Magistrat, finanziert von der Bärenlotterie, ermöglicht aber letztlich durch die vieltausendköpfige Menge von „Investoren“, die in ihre Geldbörse griffen oder mit Freizeit und Arbeitskraft „bezahlten“.

Aus Leipzig kam der rührige Heinrich Dathe, ein Glücksfall für Berlin. Auf der Suche nach dem geeigneten Standort stieß er auf den durch den Krieg völlig heruntergekommenen Schloßpark in Friedrichsfelde und begründete diese Wahl mit den Worten: „Der Boden ist sandig, so daß sich nach Regengüssen Pfützen nicht lange halten werden. Der Baumbestand ist brauchbar, ja zum Teil prachtvoll. Würde man dagegen auf einer kahlen Fläche einen Tierpark neu anlegen, so wären mindestens 10 bis 20 Jahre Wartezeit erforderlich.“

Am 2. Juli 1955 war es soweit: Wilhelm Pieck und Heinrich Dathe zerschnitten umjubelt das traditionelle Band vor dem Eingang. Zwei Tage vorher hatte Dathe in einer Zeitung geschrieben: „Wenn nach der festlichen Eröffnung die Besucher das schattige Dunkelgrün der alten Parkbäume und das Hellgrün der sonnigen Baumwiesen durchwandern, werden sie spüren, was das Wort Tierpark im eigentlichen Sinne bedeutet: vollkommene Harmonie von Landschaft und Tier. Selbst die Umgebung des Watussirind-Geheges erweckt im Betrachter die Vorstellung afrikanischer Baumsteppen, und die Reh- und Schwarzwildgehege scheinen in einem heimischen Laubwald errichtet worden zu sein. Von kaum einem anderen Tierpark wird man sagen können, daß Gartenkünstler dreier Jahrhunderte zu seinem Entstehen beitrugen. Der berühmteste von ihnen ist Lenné. Sein Andenken wird durch den nach ihm benannten wiedererrichteten Lenné-Hügel geehrt. Tausende Aufbauhelfer, nicht zuletzt die Lichtenberger Schulkinder, haben beim Aufbau des Tierparks mit Hand angelegt.“

So sehr sich der Zeit seines Lebens parteilose Dr. Dathe bemühte, dem Tierpark jede politische Note zu nehmen und die Existenz zweier Zoos in einer Stadt für durchaus vertretbar zu erklären, das Echo der Medien westlich des Brandenburger Tores war - behutsam formuliert - nicht sehr wohlwollend. „Mit dem heutigen Tag gibt es zwei Zoologische Gärten in Berlin. Das Bestreben, die Ostbewohner von der mit einem Zoobesuch verbundenen Fahrt in die Westsektoren abzuhalten, hat zu diesem Kuriosum geführt“, kommentierte die „Welt“ die Eröffnung, und fuhr dann fort: „Hier dominieren Konkurrenzabsichten: indem man jede ‚spalterische’ Tendenz entrüstet von sich weist, baut man haargenau einen zweiten Zoologischen Garten hin, der dem ebenfalls in Erweiterung begriffenen Zoo in Charlottenburg in allen wesentlichen Merkmalen gleichen soll. Nur billiger haben es die Ostberliner Bauherren gehabt: Über 100.000 unbezahlte Arbeitsstunden mußten von ‚freiwilligen’ Aufbauhelfern geleistet werden. 125.000 Ostmark mußten Ostberlins Schulkinder in Klingelfahrten an den Wohnungstüren auftreiben. 3.000 private Handwerker führten kostenlose Reparaturen aus, für die ihnen der Baustab nicht einmal das Material zu stellen vermochte. Auch der in den letzten Wochen eingetroffene Tierbestand fiel zu Lasten von Betrieben und Verwaltungen.“

Sechs Wochen später titelte das gleiche Blatt einen weiteren Bericht aus Friedrichsfelde mit der Frage: „Können Tiere Politik machen?“ und fabulierte: „Diese Frage ist nicht so komisch, wie sie klingt: Kann man auch mit Tieren Politik machen? In Berlin scheint sie augenblicklich durchaus ernstgemeint. Denn seit sechs Wochen gibt es im östlichen Teil unserer zerschnittenen Hauptstadt ein Gegenstück zum Westberliner Zoo - den Berliner Tierpark.“

Aus: ND v. 26 3.1970 

Beliebt und unvergessen: Der Gründer des Berliner Tierparks, Prof. Dr. Heinrich Dathe

Die Wut, die aus diesen Zeilen spricht, hielt lange an. Nach der Rückwende war einer der ersten Schritte der neuen „Verwaltung“, Dathe aufs Altenteil zu schicken und ihn aufzufordern, in zwölf Tagen seine Dienstwohnung im Tierpark zu räumen. Fassungslos las Dathe diese Mitteilung. Der Gram führte ihn bald in den Tod. Ein Geistlicher mahnte an seinem Grab: „Es darf nicht sein, daß dieser Ärger am Ende seines Lebens alles zuschüttet, was in jahrzehntelanger, treuer und begnadeter Arbeit wachsen konnte. Es wäre im Sinne des Verstorbenen - sein Vermächtnis - wenn diese ungute Erfahrung zum Anlaß wird für ein Bemühen um menschlichen und kulturvollen Umgang miteinander.“

Daraus wurde bekanntlich nichts.

Aber man kann nicht umhin, den Jahrestag der Eröffnung zu feiern. Tausende kamen, viele darunter, die als Kinder damals dort geschippt hatten, und feierten den Tag auf ihre Weise. Das 40-Seiten-Blatt „Berliner Zeitung“ widmete dem Ereignis 15 Zeilen und formulierte auf zweien die Entstehung des Tierparks: „Der Tierpark wurde am 2. Juli 1955 von Heinrich Dathe gegründet, der 1991 starb.“ Das nennt man „Aufarbeitung von Geschichte“.

Übrigens: Mit 1,4 Millionen Besuchern erzielte der Tierpark 1999 einen neuen Zuschauerrekord.

                                Klaus Huhn 


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