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Mythos und Realität der jährlichen Plandiskussion

Einleitend - zum besseren Verständnis - einige m. E. notwendige Bemerkungen:

„Demokratie" („Volksherrschaft") - in der Menschheitsgeschichte bis zum heutigen Tage oftmals nur leere Worthülse und im wahrsten Sinne des Wortes nie oder kaum wirklich realisiert. Laut Duden auch „Prinzip der freien und gleichberechtigten Willensbildung und Mitbestimmung in gesellschaftlichen Gruppen". Dehnbar und unterschiedlich ausleg- bzw. anwendbar.

„Ökonomie" dagegen - ein hartnäckig Ding und außerordentlich konkret. Hier sind echte Ergebnisse gefragt und erforderlich! Und wer sie nicht im jeweils erforderlichen Maße erbringt, ist - sozusagen - zum Untergang verurteilt. Oder auch: Wer mogelt, hat schon verloren.

Meiner Meinung nach - in Diskussionen mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich verteidigt - ist die DDR vorwiegend an erheblichen ökonomischen Defiziten gescheitert. An demokratischen Defiziten allein oder vordergründig kann es nicht gelegen haben Denn worin besteht heute unter inzwischen wieder kapitalistischen Verhältnissen eine wirklich demokratische Mitwirkung breiter Kreise der Bevölkerung?

Eine der Hauptursachen für den Untergang der DDR ist m. E. ihre verfehlte Wirtschaftspolitik (westliche Einflüsse und Doktrinen, wie z. B. die verhängnisvolle Embargopolitik einmal außen vor gelassen)

Vielfältig waren die objektiven und subjektiven Faktoren des wirtschaftlichen Fiaskos, mit denen sich schon viele kompetente wie auch weniger kompetente Autoren in den letzten Jahren erfolgreich oder auch weniger erfolgreich beschäftigt haben. Ich möchte mich damit „hier und heute" nicht befassen, sondern vielmehr eine dazu passende Episode aus meiner damaligen beruflichen Tätigkeit schildern.

Als Mitarbeiter der Industriegewerkschaft (IG) Transport- und Nachrichtenwesen war ich über einen längeren Zeitraum damit betraut, die Ergebnisse der jährlich stattfindenden Plandiskussion statistisch zu erfassen und die inhaltlichen Probleme komprimiert aufzuarbeiten.

Gepaart mit eigenen Erfahrungen aus zahllosen gewerkschaftlichen Mitgliederversammlungen, insbesondere in Eisenbahnerdienststellen, ergab sich dabei ein - zugegebenermaßen - eigenartiges Bild. Ausdruck der Mitbestimmung und Form demokratischer Mitwirkung der Werktätigen der DDR an der Ausarbeitung der heute ach so verschrieenen Volkswirtschaftspläne war bzw. sollte die Plandiskussion sein. Dazu fanden Tausende und Abertausende Diskussionsrunden statt (um nicht Talkshows zu sagen), in deren Ergebnis u. a. eine Vielzahl von so genannten „Vorschlägen, Hinweisen und Kritiken" in der jeweiligen Zentrale der Gewerkschaften und Industriegewerkschaften zusammengetragen wurden. Je mehr es waren und ihre Anzahl von Jahr zu Jahr eine steigende Tendenz aufwies, um so „toller" war die Stimmung in den verantwortlichen Sekretariaten der Gewerkschaftsleitungen. Ohne Zweifel war es eine große demokratische Volksaussprache zum Planentwurf, die auch statistisch erfasst wurde. Es waren schon „stolze Ergebnisse". Und dann erst die Zusammenfassung der wesentlichsten inhaltlichen Probleme. Viel, sehr viel Papier wurde produziert Aufwand und Ergebnis standen aber oftmals nicht im Verhältnis zueinander Das Kurioseste dabei war u. a. , dass viele gleiche Mängel in allen Bereichen des Transport- und Nachrichtenwesens über Jahre hinaus eine Rolle spielten, ohne dass eine Besserung eingetreten wäre. Denn - wie eingangs schon gesagt - die Defizite der DDR-Wirtschaft waren so groß, dass man von dem berühmt-berüchtigten zu kurzen Hemdchen sprechen konnte.

Demokratische Mitwirkung auf diesem Gebiet hatte, letztlich objektiv bedingt, wenig Bedeutung für sichtbare positive Veränderungen und konnte es auch nicht haben.

So passierte Folgendes: Die Probleme des Transport- und Nachrichtenwesens wurden im Sekretariat der Gewerkschaftsleitung der IG auf 8 bis 10 Seiten zusammen getragen. Die Minister (für Verkehrswesen und für Post- und Fernmeldewesen) bekamen dann komprimiert die jeweiligen wesentlichen Dinge auf ihren Tisch.

Desgleichen der Bundesvorstand (BV) des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Die Minister und der BV des FDGB fassten wiederum die Aussagen, nochmals in „gekürzter Fassung" versteht sich, für den Ministerrat der DDR zusammen.

In der „Stellungnahme des BV des FDGB" zum Planentwurf blieben dann nur ausgewählte Kernaussagen der jeweiligen Industriegewerkschaft bzw. anderer Gewerkschaften übrig.

Aus dem Bereich Transport- und Nachrichtenwesen z. B. sinngemäß der wunderschön klingende Satz „Der Minister für Verkehrswesen wird gebeten, über den VEB Chemiehandel darauf Einfluss zu nehmen, dass sich die Qualität der Arbeitsschutzschuhe für Eisenbahner verbessert". Im darauffolgenden Jahr hieß es dann „Der Minister... wird erneut gebeten... " usw. usf. Es wurde fast schon zu einer Groteske.

Die Qualität der Arbeitsschutzschuhe für Eisenbahner, insbesondere für die Rangierer auf den Bahnhöfen (nach 3 Tagen im Schneematsch z. B. lösten sich die Sohlen) verbesserte sich über Jahre hinaus nicht bzw. nicht in erforderlichem Maße.

Ähnlich bzw. noch krasser verhielt es sich mit kritischen Äußerungen der Werktätigen zur Ersatzteilfrage für Kraftfahrzeuge. Ein kaum zu bewältigendes Problem für die Kfz-Reparaturwerkstätten. Es wurde geredet, diskutiert und aufgeschrieben, aber die Lage wurde immer prekärer. Es fehlte einfach die entsprechende ökonomische Basis für die Lösung der Probleme. Selbst die einfachste Schraube musste manches Mal auf veralteten Drehmaschinen selbst angefertigt werden. Die Anmeldeliste und damit die Wartezeiten für Hauptuntersuchungen von Pkw in den Kfz-Werkstätten stiegen so z. B. von Jahr zu Jahr ins Uferlose.

Das alles und viele, viele andere Mangelerscheinungen brachten das „arbeitende Volk" mehr „auf die Palme" als fehlende Freiheit und Mangel an Demokratie. Das waren lupenreine Fragen einer desolaten Volkswirtschaft.

Die große demokratische Aktion der Plandiskussion verfehlte so ihre Wirkung letzt-ndlich auf Grund des Unvermögens der Wirtschaft bzw. der wirtschaftsleitenden Organe, die Ursachen der sich ständig wiederholenden vielen Mängel und Missstände in der täglichen Arbeit wirksam zu beseitigen. So wuchs auch jährlich der Unmut der Werktätigen über dieses Unvermögen.

Relativierend soll allerdings noch hinzugefügt werden, dass die Plandiskussion natürlich nicht unnütz war. Viele kleinere Probleme, Engpässe und Unzulänglichkeiten konnten auch beseitigt werden, nicht zuletzt durch manch hartnäckige Einflussnahme der jeweils zuständigen Gewerkschaftsleitungen. Aber die großen Probleme blieben eben meist ungelöst.

Die Realisierung des „Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung" Anfang der sechziger Jahre mit dem „Gewinn" als wichtigster (zentraler) Kategorie wäre eine Möglichkeit erfolgreichen Wirtschaftens in der Deutschen Demokratischen Republik gewesen.

Die Selbstbeweihräucherung eines Günter Mittag mit imaginären Planerfüllungszahlen nach mehrmals im Jahr erfolgten Plankorrekturen nach unten in der Niedergangsphase der DDR war es gewiss nicht.

Dieter Lämpe


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