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Manfred Steinert

 

„Klar zur Wende“

(Fortsetzung des Essays von Manfred Steinert: „Klar zur Wende")  

Wo gehörte ich hin, wo bin ich jetzt?

 

Politisch war ich von Jugend an (Erziehung, Umfeld etc.) ein „Linker“, ohne hier näher zu präzisieren zu wollen, was das eigentlich ist. Wer aber bei diesem „Schimpfwort“ innerlich gleich verhärtet, soll einfach „atheistisch ausgerichteter Suchender“ an die Stelle setzen.

Vom parteilosen, atheistischen, fast altruistisch „Seienden“, vom neuen Weg überzeugten und immer suchenden Vater, (im Alter dann etwas borniert und unbelehrbar und auch noch vom Patriarchat geprägt) bekam ich einen gewissen „Grundstock“ mit (obwohl in jüngeren Jahren gegen den väterlichen Dogmatismus auch oft rebellierend!).

Ich selbst war nicht so sehr einer bestimmten Linie und nie einem Dogma verhaftet, sondern immer recht offen für Alternativen und Veränderungen. Die Starrheit und der Dogmatismus des Systems in der DDR hat mich schon früh, anfangs nicht gleich aufsässig, aber zunehmend kritisch und nachdenklich werden lassen. Hinterfragen, eigene Gedanken machen, zunehmend Widersprüche erkennend und den Wunsch habend mich darüber auszutauschen, hielt mich ständig in Bewegung.

Das hat „die“ Partei allerdings nicht so sehr gerne gehabt.

(Ich war lange Zeit so naiv, zu denken, dass kritisches Mitgestalten erwünscht ist.)

Zu Zeiten des Sputnikschockes war ich noch stolz und überzeugt, später nachdenklich, dann kritisch, schließlich auch öffentlich kritisch und auch immer mehr risikobereit.

Mein Zweifeln begann besonders nach dem Prager Frühling, der Glaube erlitt aber den letzten Todesstoß erst, als nach Andropow wieder einer jener Greise, die auch an der Kremlmauer bestattet werden wollten, an die Spitze der SU gelangte (Tschernenkow).

Dass wahrscheinlich auch zu dieser Zeit schon alles zu spät war, konnte ich erst später erkennen, nämlich als ich begriff, dass die Abwesenheit von demokratischer Möglichkeit, Führungen zu verändern, nicht dummer Zufall, sondern systemimmanent war.

Zu dieser Zeit begann ich auch den wahren Wert einer Demokratie, bei allen ihren Gebrechen und der unbedingten Notwendigkeit sie zu vervollkommnen, zu erkennen.

Mich quälte regelrecht die ganz offensichtliche Dummheit, mit der der Dogmatismus der Partei sie der Möglichkeit zur Selbsterneuerung beraubte und alles im Keim erstickte, was auch nur im Ansatz vom Dogma abwich. Da konnte mitunter schon nur eine andere Wortwahl als die in der Zeitung vorformulierte ausreichen, um „tüchtige“ Genossen misstrauisch werden zu lassen. (Der hat wohl Westen geguckt?)

Es gab auch schlaflose Nächte. Sogar meine (inzwischen geschiedene) Frau, schon durch ihren Vater, einen allgemein hochgeachteten Funktionär, absolut „Rot“ und ähnlich denkend, machte mir gelegentlich, meiner Selbstquälerei wegen, Vorwürfe.

Dann ging auch immer häufiger schon mal die Sicherung durch. Ich besorgte mir heimlich aus dem Westen die „Alternative“ (R. Bahro), meine Bibel.

Hielt eine große „Perestroika-Rede“ vor der gesamten Kreis-Parteispitze und 40 Werkdirektoren mit Nachwirkungen und Spätfolgen. Angesichts des Zustandes im Lande Verweigerung der Entgegennahme der Verdienstmedaille der DDR, schriftliche Verweigerung als Mitglied der Kampfgruppe, mich an geplanten möglichen Einsätzen gegen die Bevölkerung zu beteiligen, Weigerung mich bei der Wahl der Parteileitung dem ausgesprochen albernen Zeremoniell zu unterwerfen.

Schon etwas früher hatte ich mir „geleistet“ die Stasi brüsk und unmissverständlich abblitzen zu lassen, als sie mich auf meinen Chef ansetzen wollte, dessen Stellvertreter und designierter Nachfolger ich war.

So kam immer mehr zusammen. Mein guter Ruf als Techniker und ehrenamtlicher Stadtrat schützte mich zunächst eine Weile, die Genossen waren aber ziemlich ratlos wegen des Abweichlers.

Als das Maß voll war - kam die Wende. Zur rechten Zeit. Dass sie zur rechten Zeit kam, erfuhr ich dann viele Jahre später bei der Einsicht in meine Stasiakte.

So ging ich also in die Wende. Sowohl erleichtert als auch besorgt und verwirrt, aber doch auch hoffnungsfroh und mit innerer Bereitschaft zur persönlichen Mitwirkung.

(Damals noch etwas naiv und nicht ahnend, wie schnell dann alles ging.)

Aber auch skeptisch über das, was nun auf uns zukam und nahezu fassungslos über die „Helmut, Helmut“-Rufe von Dresden und die einsetzende Kaufwut.

Aber auch überzeugt davon, dass das alte System total abgewirtschaftet hatte, weder theoretisch und erst recht praktisch keine Chance mehr hatte und vielleicht nie richtig gehabt hatte.

Überzeugt, dass die letzte große Chance, die das System, wenn überhaupt, gehabt hat, vielleicht der Prager Frühling war. Also demokratische Reformen zu einer Zeit, wo das System noch wirtschaftlich und militärisch kraftvoll und mächtig war, durchzuführen.

Aber dann, Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, mit Gorbatschow, war alles schon so marode, dass es fast logisch nur noch ein ganz einfaches Zusammenklappen geben konnte.

Der Kommunismus, der seit seiner praktischen Etablierung 1917 ja von Anfang an nur ein „Pseudokommunismus", oft sehr fern seiner eigenen theoretischen Grundlagen war und, zum Dogma mutiert, nur als Machtinstrument missbraucht wurde, war zu Ende.

Innere Neuorientierung war nun angesagt.

Ich habe mich dazu bekannt, lange Zeit überzeugter Systemanhänger gewesen zu sein.

Wie kommt man als solcher nun mit der neuen Situation zurecht?

Erstaunlicherweise doch eigentlich ganz gut.

Meine Enttäuschung war viel größer gewesen über die Dummheit, Sturheit und Selbstzerstörung des Systems, dem ich diente, das ich verbessern wollte. Und auch über die primitiven Reaktionen eines Großteils meiner Landsleute.

In die neue Zeit ging ich somit zuerst mit Sorge und Unsicherheit über meine rein persönliche berufliche Entwicklung, die Konsequenzen für die Familie etc.

Durch intensives, früher verbotenes, dann legales intensives Westfernsehen kam ja das meiste nicht überraschend, ja, wir hatten es theoretisch jahrelang mit Löffeln gefressen.

Ja, es stimmte fast alles, was wir, teilweise widerwillig, gelernt hatten:

Ellenbogengesellschaft, Wolfsgesetz, Marktwirtschaft, Konsum- und Wegwerfgesellschaft, Zweidrittelgesellschaft etc.

Die Marktwirtschaft funktionierte prächtig mit ihrem schon pathologischen Konsumwahn um den Preis kranker Menschen und einer kranken Gesellschaft.

Aber es stimmte auch das, was wir nicht gelernt, aber hintenherum mitbekommen hatten:

Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Demokratie. Mit allen Mängeln im Detail, aber doch wohl wirkliche Werte, die verbesserungswürdig, aber auch verteidigungswürdig waren.

An deren Mangel mit unser altes System zerbrochen war. So stürmte ich nicht blindlings und mit Hurra in die Marktwirtschaft, aber doch hinreichend realistisch, um nicht nur enttäuscht oder gar verzweifelt zu sein.

Nachdem ich die berufliche Seite, also das Grundauskommen, wieder einigermaßen im Griff zu haben glaubte, war ich der neuen Gesellschaft gegenüber, wie vorher auch schon, kritisch, aber nicht fundamental ablehnend. - Ein Suchender, wie vorher auch schon.

(Wir merkten natürlich ganz schnell, dass die auch nur mit Wasser kochten, dass alles teilweise noch mehr verbürokratisiert war, die Formblätter nur andere Überschriften, gewisse Aktivitäten nur andere Namen hatten.)

Nach allem aber, was ich mit Herzblut in der DDR, einschließlich herber menschlicher Enttäuschungen seitens einiger meiner Mitgenossen, durchlebt hatte, konnte zumindest bei mir keine Nostalgiestimmung aufkommen.

Ich wünschte mir (wieder!) ein besseres System, aber das alte DDR-System sowjetischer Prägung konnte und sollte es unter keinen Umstanden sein.

Und ich blieb nicht nur politisch interessiert und wach, sondern beschäftigte mich noch vielmehr als früher damit.

Es ist gewiss nicht schön, wenn man sich so gründlich getäuscht hat, aber immer noch besser, als wenn man es niemals merkt.

Also weitersuchen, Ohren und Geist wach, Pulver trocken halten, hieß die neue Devise.

Dazu aber noch etwas im letzten Abschnitt.

 

Wessi/Ossi?

 

Natürlich gibt es nicht „den“ Wessi, oder Ossi, aber es gibt Wessis und Ossis.

Manche mögen die Begriffe nicht, weil sie angeblich spalten. Quatsch aus meiner Sicht.

Das sind gute Begriffe, um nicht lange erklären zu müssen.

Es gibt auch nicht „den“ Bayer oder Ostfriesen, aber jeder weiß doch, was gemeint ist, wenn man von den Bayern, oder auch vom „Ländle“, oder eben von den Ostfriesen redet, quasi von den „Südis“ und „Nordis“.

So auch bei Ossis und Wessis. Und das wird auch kaum verschwinden. Es ist wie ein allen bekanntes Markenzeichen.

Nur den Inhalt können wir beeinflussen, die Assoziationen, die die Namen auslösen, nicht aber die Namen selbst.

Beruflich hatte ich gleich nach der Wende mit vielen Wessis, meist in höheren Positionen zu tun. Durch ihre Positionen hatten sie, oder glaubten das zumindest von sich, auch noch die Nebenfunktion, uns das Essen mit Messer und Gabel beibringen zu müssen. Wir wurden häufig gelobt, wenn wir was richtig gemacht hatten. Höflich, aber doch befremdlich beäugt, wenn wir etwa eigene Wege gehen und ausgetretene Pfade - nur ganz leicht natürlich - verlassen wollten. „OK, wir müssen eben etwas Geduld haben mit den Ossis, bis sie alles richtig begreifen.“

Sie näherten sich uns stets freundlich, jovial, großzügig, nicht unsympathisch und auch teilweise liebenswert. Aber immer im Innersten wissend, dass sie eigentlich diejenigen sind, welche ...!

Das brauchten sie meist nicht durch offen zur Schau getragene Arroganz zu demonstrieren, das passierte mehr im Unterbewusstsein. So ungefähr wie im Zoo:

Man steht vor einem Käfig mit einer seltenen Spezies, man weiß, dass man diesem seltenen Tier haushoch überlegen ist, gibt ihm freundlich Futter, versucht es auch ganz vorsichtig zu streicheln - ist sich dabei aber nicht ganz sicher, ob es vielleicht beißt, oder sonstwie unerwartet reagiert. Dann schreitet man weiter, glücklich darüber doch auf der „richtigen“ Seite gelebt zu haben.

„Wenn die Ossis uns auch eine Menge Scherereien bereiten, von den vielen Milliarden, die wir laufend zu denen ... mal ganz zu schweigen, aber sie sind auch ein Glücksfall für uns Wessis. An denen und ihrer unerhörten Stasi können wir endlich so richtig aufarbeiten, was wir nach '45 im Eifer unseres Wiederaufbaus ganz vergessen hatten, wo wir nach Hitler mal ganz schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen waren.“ Ungefähr so:

„Da sitzt doch 2002, und dann auch noch für diese unverschämte PDS, Lieschen Muller im Mecklenburger Landtag. Und die hatte doch 1976 , als sie gerade 18 wurde, also mündig und vollverantwortlich für ihr Tun war, eine Erklärung unterschrieben, für die Stasi Informationen aus ihrem künftigem Arbeitsbereich, der LPG „Freie Scholle“ in Kleinkleckershagen zu liefern. Und sie war damals, bis sie es dann etwas später selbst durchschaute und auch korrigierte, auch noch stolz über das in sie gesetzte Vertrauen, an der Stabilisierung ihres Staates mitwirken zu dürfen!

Und jetzt sitzt die einfach wieder ...? Nein also, die scheinen ja unbelehrbar zu sein! Wir haben ja nichts dagegen, zu vergessen und Nachsicht zu üben. Aber in einer politischen Funktion und dann noch für eine Partei, die das ganze Land ruiniert hat, wofür wir jetzt alle bezahlen müssen? Das geht zu weit, da müssen wir ganz konsequent sein und bleiben.“

Die andere Sorte Wessis sind die ganz normalen, ohne Sendungsbewusstsein, sich auch der Mängel ihrer Gesellschaft meist bewusst und diese nicht verklärend. Urlaubsbekanntschaften, Zufallsbekanntschaften, Kollegen mittlerer oder unterer Chargen. Die sind wie du und ich, meist nur etwas am Dialekt erkenntlich, sind nur deshalb Wessis, weil sie im Westen wohnen. Wären bald Ossis, wenn sie in den Osten zögen.

Das ist die übergroße Mehrzahl. Noch nicht allzu saturiert und satt und zufrieden, auch in täglicher Mühsal ums ganz einfache Leben stehend, realistisch, oft auch Suchende.

Da gibt es nichts prinzipiell Trennendes zwischen Wessis und Ossis. Da ist mir nicht bange für die Zukunft. Da bleibt mir nur zu wünschen, dass jeder etwas von seinen Eigenheiten behält und sich vom gesamtdeutschen Überlebenskampf nicht rundlutschen lässt.

 

 

PDS - Phänomen oder einfache Realität?

 

Unabhängig davon, wo man politisch steht und wie man die PDS-Erfolge bewertet, nach meiner Überzeugung sind sie überhaupt kein Phänomen, sondern die direkte Antwort auf die fast arrogant zu nennende, aber vielleicht auch nur kleinmütig vollzogene deutsche Vereinigung.

Ich will hier nicht wiederholen, was überall zu lesen und zu hören ist. Aber bis heute erweisen sich alle Kassandrarufe als falsch. Und sie werden falsch bleiben, solange die PDS glaubhaft scheinende Alternativen zur gegenwärtigen Politik anbieten kann (und nicht nur, weil sie den Entertainer Gysi an der Spitze hat - man höre sich da ruhig auch mal die zweite Garnitur an und vergleiche sie mit einigen über die Kanäle geifernden „alten“ Politikern). Ob die PDS ihre Versprechungen und Programme jemals wird umsetzen können, ist eine völlig andere Frage. Jede Politik hat bisher mit Versprechungen gearbeitet, von denen sie die wenigsten eingehalten hat.

Die PDS wird zunehmend stärker, und nicht etwa nur die alten Betonköpfe sind ihre Anhänger, sondern sie wird auch zunehmend für jüngere und junge Wähler attraktiv.

Darin liegt aber auch gleichzeitig ihr Problem. Ihr Problem liegt nicht so sehr bei den noch ausreichend vorhandenen Betonköpfen aus alter Zeit, oder der Kommunistischen Plattform, oder einer noch ausstehenden Pauschalentschuldigung.

Ihr Problem liegt darin, dass sie nach der Macht auch auf Bundesebene greifen will. Sie wird sie niemals voll erhalten, immer nur wird sie ein kleines Zipfelchen erhaschen können.

Um aber koalitionsfähig zu werden, muss sie Stück für Stück ihre Prinzipien anknabbern und aufgeben. Die Prinzipien, derentwegen sie gegenwärtig noch auch für viele junge Menschen wählbar ist. Z. B. ihren Pazifismus, auch ihre allgemeine Oppositionsrolle zu vielen anderen Grundfragen, einschließlich des hierbei teilweise recht modernen Outfits ihrer Repräsentanten und ihrer Denkansätze.

Jede Partei, die nach der Macht schielt, muss gehörig Kreide fressen, sonst hat sie keine Chance. Die Mehrheit des Wahlvolkes möchte schon ein bisschen hintergangen werden.

Wer zu offen sagt, was er denkt und was er will, ist weg vom Fenster.

Das heißt aber aus dem gleichem Grunde auch: Jede Partei die nach der Macht schielt, ist nicht mehr imstande, eine echte gesellschaftliche Alternative zu formulieren und diese in die Breite zu bringen. Sie kann nur noch Diener des alten Systems sein. Eine Alternative kann sich nur und wird sich jenseits von ihr entwickeln.

Das trifft (leider) für die Mehrheit des Wahlvolkes, zu. Es gibt auch einen recht großen Teil der klugen, denkenden Bevölkerung, die will es gerne offener und ehrlicher, auch wenn es unangenehmer ist. Dieser Teil, offen für Alternativen, müde des Parteiengezänks, ist wichtig, wird wahrscheinlich sogar größer, reicht aber eben nicht für die Mehrheit.

Von diesen sich nach Alternativen Sehnenden wählten früher mehr, jetzt weniger die Grünen, einige wenige die Reps, und zunehmend mehr wählen die PDS.

Somit wird, wenn es der PDS gelingt glaubwürdig zu bleiben, sie auch im Westen langsam Fuß fassen.

Gelingt es ihr aber durch Anpassungsmanöver und Preisgabe von Grundsätzen so stromlinienförmig zu werden, dass sie als Koalitionspartner eine Chance bekommen könnte, wird sie (vielleicht?) kurzeitig einen Zipfel Macht mit erhaschen.

Der Preis dafür wird aber sein, dass es ihrer Glaubwürdigkeit schadet, ihr Zuspruch sinkt, sie wird als Alternative uninteressant, muss über die Zeit wieder abtauchen und zur Regionalpartei werden.

Sie wird nachvollziehen, was die Grünen jetzt gerade erleiden, wozu es kaum noch eines Kommentars bedarf.

Ich meine, die Grünen machen mit ihrer Regierungsbeteiligung keine ganz schlechte Figur, auch wenn das viele anders sehen. Vieles Vernünftige, Zukunftsfähige ist tatsächlich nur durch die Grünen möglich und dem großen Koalitionspartner abgerungen worden.

Aber die zur Machtteilhabe notwendige Anpassung an den „Supertanker“ kostet Anhänger in Massen und aus heutiger Sicht sind zur Wahl die 5 Prozent überhaupt noch nicht sicher - was Ausdruck für die große Sehnsucht, zwar nicht der Mehrheit, aber doch vieler Menschen, nach Alternativen in der Politik ist.

Ich bin ganz gewiss kein Freund der Liberalen, den Theoretikern und Hauptverfechtern der weit- und gesellschaftszerstörerischen Freien Marktwirtschaft.

Aber nun, in der Opposition befindlich, aber bei niemanden um Machtteilhabe zu sehr buhlend, sondern mit manchmal klugen, manchmal frechen Sprüchen auftretend, ganz forsch Alternativen anbietend, die alle, wenn auch schon lange her, schon mal da waren, machen sie Punkte und holen sichtbar auf, zunächst fast egal was praktisch dabei herauskäme, falls sie es denn schafften zur Wahl.

Sie stillen einfach die Sehnsucht vieler Menschen nach einer Alternative.

Damit hat auch die PDS ihre Punkte gemacht und macht sie noch.

Denn was hat sich schon groß durch den Machtwechsel 1998 geändert und was für Änderungen stünden ins Haus, wenn der andere, konservative Supertanker wieder an die Macht käme?

Seine Partei, die trotz trauriger Hinterlassenschaft mal ganz schnell beschlossen hat, die angezeigte Schamfrist rigoros abzukürzen und wieder zur Machtübernahme anzutreten.

Also Schlussfolgerung: Die PDS ist kein Racheakt oder Akt der Undankbarkeit oder der Unbelehrbarkeit der Ossis, sondern hausgemachtes Problem der Wessis. Es ist gleichsam ein Stück nachgeholter Wiedervereinigung und Kritik am Beitritt.

Wir sollten aufhören, darüber zu schäumen und besser lernen, damit demokratisch umzugehen. Die Mittel, die PDS auszutrocknen, hat die aktuelle Politik durchaus in der Hand. Aber dazu müsste sie ihre Lektion Demokratie zunächst erst mal selbst lernen.

Danach sieht es derzeit nicht aus.

 

 

Versuch einer politischen Bewertung

 

Wie schon bei den Ausführungen zum Fall der Mauer: Man kann, glaube ich, politisch eingestellt sein wie man will, an der Einmaligkeit des Vorganges des Zusammenbruches des ganzen sozialistischen Weltsystems kommt man wohl, ob mit Trauer und Schmerz, oder mit Freude und Erwartung, nicht vorbei.

Das an sich extrem ereignisreiche 20. Jahrhundert hat wohl insgesamt vier Ereignisse dieser Dimension gehabt: Die beiden Weltkriege, sowie die Gründung und den Zusammenbruch des sozialistischen Lagers.

Aus heutiger Sicht war nicht der weltweite Sieg des Sozialismus, sondern sein Zusammenbruch gesetzmäßig. Viele der Grundgesetze, die wir gebetsmühlenhaft lernen mussten, wurden systematisch durch das System selbst verletzt.

Man könnte Bände darüber schreiben, was aber hier zu weit ginge. Nur einige Gedanken seien angetippt, die man vielleicht nicht ganz so oft hört:

Das theoretische Rüstzeug des Kommunismus war zunächst eine gute stabile Grundlage. Aber natürlich muss sich auch jede Theorie weiterentwickeln und neuen Erkenntnissen anpassen. Indem der praktische Sozialismus erst in der SU, dann in den anderen Ländern seine Lehre zum Machtinstrument verkrüppelte, zum Dogma erhob, beraubte er sich so der Möglichkeit zur Weiterentwicklung seiner Basistheorie. Konkret, zur Entwicklung demokratischer Elemente und damit eines Erneuerungspotentials.

Langfristig musste das selbstauferlegte „Schmoren im eigenen Saft“ tödlich sein.

Als Marx seine bis heute richtige und auch von Gegnern nicht bestrittene Theorie über das Wesen des Kapitals entwickelte, waren die Freudschen (und was danach kam) Erkenntnisse über die menschlichen Triebkräfte noch nicht ausreichend bekannt und erforscht, bzw. anerkannt. Hier hätte dann nachgebessert werden müssen. Da das aber unterblieb (s. o.), stützte sich der Aufbau des Sozialismus vielfach auf Wunschträume (und Machterhaltsträume der Eliten), anstatt auf reale menschliche Bedürfnisse und Beachtung menschlicher Grenzen.

Statt dessen versuchte der Sozialismus, nachdem er seine theoretischen Grundlagen verraten und preisgegeben hatte, den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen, dem Massenkonsum zu schlagen. Das konnte nur schief gehen, denn es gibt in dieser Beziehung nichts „Effektiveres“ (auch nichts Verheerenderes!) als die Marktwirtschaft.

Völlig entgegen der Theorie wurde der Sozialismus erstmals nicht in einem der fortgeschrittensten, sondern im fast rückständigsten Land Europas eingeführt.

Logischerweise war diese Gesellschaft aber auf diesen „Epochesprung“ gar nicht vorbereitet.

Somit konnte zwangsläufig Lenin ad hoc nur ein Zwangssystem einführen. Aus dieser verfrühten „Zangengeburt“ hätte, falls nicht das schon Utopie ist, dann aber wenigstens im Nachhinein durch Einführung fehlender demokratischer Elemente ein lebensfähiges Etwas gemacht werden müssen, das in der Lage ist, den zu erwartenden Stürmen zu trotzen und gesund zu wachsen. Statt dessen aber wurde ein dogmatischer Machtapparat entwickelt, der sich seine Theorie wunschgemäß hinbog (verbog). Und der zwar noch stark genug war, unter unheimlichen Verlusten Hitler zu schlagen, aber zu schwach, um Neues aus den eigenen Reihen oder den befreundeten Ländern (Stichwort: Prager Frühling u. a.) aufzunehmen, zu assimilieren und sich so selbst weiterzuentwickeln.

Durch diese „Frühgeburt“ konnte sich die Theorie einer echten gesellschaftlichen Alternative auch nicht bis zu einer solchen Reife entwickeln, wie sie erst heute, wo die Marktwirtschaft in globalem Maßstab an ihre Grenzen stößt und die gesamte Menschheit nach einer Alternative sucht, nötig wäre und nun vielleicht auch eine Chance zur Umsetzung hätte. Statt dessen ist jeglicher Kredit einer Gesellschaftstheorie jenseits der Macht des Privateigentums so restlos verbraucht, dass die Menschheit gegenwärtig recht plan- und ziellos durch die Welt tappt.

Das bloß mal vier Gedanken aus einer Fülle möglicher anderer.

Die marxistische Theorie hatte zunächst durchaus das Potenzial zu einer veränderten, auch besseren Welt.

Ihr humanistisches Potenzial in Bildung, Kultur, sozialer Gerechtigkeit, moralischer Wertetabelle, Gleichberechtigung u.a. war sogar noch im realen Sozialismus bedeutend und zog zunächst auch viele der armen Länder nach Zerfall der Kolonialreiche an.

Die an die Sache glaubenden Menschen schufen mit ihrer Arbeit Bemerkenswertes, was es wert gewesen wäre, erhalten und übernommen zu werden.

Die „gläubige“ Masse war mit Sicherheit besser als ihre Führung. Das waren in der Mehrzahl keine Mitläufer, wie das heute Nichtdabeigewesene gerne darstellen, sondern vielfach Herzblut spendende, bescheidene Kämpfer für eine neue, bessere Zukunft.

Und die Vorteile, die sie davon hatten, waren viel weniger die sog. „Privilegien“ als viel mehr ständige Mühe, Plage, Verzicht, Opfer, Arbeit, Lernen ...!

Später dann, als die selbst organisierte Schwäche des Sozialismus offenkundiger wurde, erlosch die Anziehungskraft im In- und Ausland zunehmend wieder.

Das Hauptproblem war, dass eine dazu nicht hinreichend befähigte Machtelite mittels Diktatur ihre Macht festzurrte und dabei den gesellschaftlichen Fortschritt systematisch selbst enthauptete.

Die Folge war nicht nur ein Scheitern des Systems, sondern mit seinem Scheitern hat sich der reale Sozialismus weltweit so diskreditiert, so dass er auf lange Sicht, oder für immer als Alternative ausscheidet.

Mit seinem Wegfall ist gleichzeitig die Marktwirtschaft wieder in der Lage, wie schon einmal im Frühkapitalismus, ihre soziale Maskerade fallen zu lassen und wieder zu dem zu werden, was sie von Natur aus ist: menschenverachtend, weltzerstörend, gesellschaftszerstörend.

Das gilt es, trotz Meinungs- u. Reisefreiheit, Demokratie und gutem hartem Geld zu sehen.

Es gilt zu sehen, dass die Marktwirtschaft die Erde hemmungslos ausplündert, dass der Reichtum nur für einen kleinen Teil, zu dem wir gehören, verfügbar ist, dass die übergroße Mehrheit arm ist, bleibt und immer ärmer wird. Dass im Zusammenhang mit der Dritten Industriellen Revolution zunehmend der Mensch zur Erzeugung von Profit nicht mehr gebraucht wird. Er wird überflüssig, wird zum unnützen Esser, nur noch als Konsument benötigt, um das mörderische Getriebe am Laufen zu erhalten.

Zu sehen, dass unserer Kultur Dekadenz nicht nur droht, sondern schon lange eingesetzt hat und dass die Massenverdummung ein schon fast verbrecherisches Ausmaß erreicht hat. Man braucht dazu nur das Fernsehen (und den Kopf zum Denken) einzuschalten.

Zu sehen, dass der Staat schon lange von der Rolle ist und den Problemen nur noch hinterher hecheln kann. Längst hat das internationale, globalisierte Kapital über Mausklick die Herrschaft übernommen, die Diktatur des Geldes, der Terror der Ökonomie ist angesagt. Der Staat hat nur noch als Hauptaufgabe das liebe Konsumvieh gefügig zu halten und ruhig zu stellen, um die Profiterzeugung nicht zu stören.

Zu sehen, dass die mörderischen Gesetze der Marktwirtschaft, der Zwang, bei Strafe des eigenen Unterganges, mit erbarmungslosem und rücksichtslosem Konkurrenzkampf Maximalprofit erzeugen zu müssen, einer Todesspirale gleicht, die in den Abgrund führt.

Der absehbar einen ausgelaugten, ausgeplünderten Planeten und zerstörte Gesellschaftsstrukturen hinterlassen wird und alle ausspuckt, welche sich diesem Gesetz nicht beugen.

Zu sehen, dass wir dem gegenwärtig nahezu alternativlos folgen wie die Lemminge. Dass die gegenwärtig praktizierte Parteiendemokratie, an deren Mangel im eigenen Machtbereich letztlich der Sozialismus zugrunde ging und die im Westen über Jahrzehnte ein gut funktionierendes, fortschrittliches, wert- und identitätsstiftendes Instrument war, bei der Lösung der Zukunftsprobleme nun aber an ihre Grenzen stößt und sich zunehmend selbst blockiert.

Zu sehen ..., zu sehen ..., zu sehen!

Erstaunlicherweise ist zur Zeit keine Alternative erkennbar. Gerade deshalb folgen alle der verheerenden Marktwirtschaft blindlings.

Früher hatte sich im Schoß eines sterbenden Systems immer schon das neue vorbereitet, oder sich im Larvenstadium befunden.

Heute? Trotz „Attac“ und anderen Bewegungen - doch eher Fehlmeldung!

Oder „wirklicher“ Kommunismus mit radikal anderem, kulturell revolutioniertem Menschenbild, in dem das „Sein“ dominiert und das „Haben“ nur noch Nebenrolle ist? Durch den falschen „Pseudokommunismus“, der von 1917 bis 1990 versucht wurde, scheint er aber nun schon vom Begriff her gesellschaftlich so absolut diskreditiert, dass ihm gegenwärtig weltweit keine reale Chance eingeräumt werden kann.

Und was ist eigentlich aus dem Dritten Weg geworden?

Gegenfrage heute (nachdem man natürlich klüger ist!): Was sollte das überhaupt sein?

Wenn mit „Dritter Weg“ eine radikale Demokratisierung im Sinne, z. B. des Prager Frühlings gemeint gewesen wäre, hätte es sicher eine gewisse, wenn auch späte Chance gegeben. Aber auch das scheint eher unsicher, falls der dann demokratisierte Sozialismus nicht zu einem Paradigmenwechsel vom „Haben“ zum „Sein“ gefunden hätte. Wenn der Sozialismus nicht versucht hätte, den Kapitalismus auf seinem ureigenstem Gebiet mit seinen dafür untauglichen Mitteln zu schlagen.

Alles hatte sich aber als unmöglich erwiesen. Erst durch Starrheit und Dogmatismus des Systems, später durch dessen Zusammenbruch.

Für noch modernere Gedanken war damals der Boden nicht vorbereitet. (Das ist er eigentlich bis heute nicht. Bis heute ist nur klar, was weltweit falsch läuft, aber unklar wie und in welche Richtung es geändert werden müsste oder könnte.)

Als der sog. „Dritte Weg“ diskutiert wurde, war die DDR schon soweit den Bach herunter, dass nur noch das westliche Kapital, das dafür auch Gewehr bei Fuß stand, den völligen finanziellen Zusammenbruch noch abwenden konnte.

Die Geschichte und die Menschen der DDR haben schließlich eine andere Lösung als den „Dritten Weg“ gewählt. Nun mit „Wenn“ und „Hätte“ Krokodilstränen zu vergießen und dem alten, untauglichen System nachzutrauern macht keinen Sinn.

Die Marktwirtschaft ist letztlich eine Erfindung der westlichen, individualistisch ausgerichteten und auf dem Privateigentum aufbauenden christlichen Kultur, mit der die ganze Welt beglückt wurde und die die Weltwirtschaft (derzeit noch!) fest in ihren Fängen hält. Auch die Volkswirtschaften anderer Kulturkreise. Für Alternativen hierzu, gleichgültig ob wünschenswert oder nicht, ist die westliche Kultur gegenwärtig noch zu mächtig und dominierend. Wenn sich das längerfristig mal ändern sollte, wofür gegenwärtig Vieles spricht, wenn islamische, buddhistische, konfuzianische, hinduistische Kulturkreise, deren Gesellschaften vielfach mehr gruppenorientiert organisiert sind, nicht mehr durch die westliche Kultur und Wirtschaftskraft dominiert werden, dann könnte vielleicht der Teufelskreis der Marktwirtschaft ...?

Oder sind diese Kulturkreise dann bereits so infiltriert, dass auch das nur Utopie ist?

Es erscheint auch aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, ja unmöglich, dass die westliche Kultur von selbst in der Lage ist, sich so umfassend zu reformieren, dass das Ergebnis als echte Alternative für die Menschheit brauchbar ist.

(Sie wird es, wie schon bisher (Ford, Keynes, etc.) doch wohl nur bis zu lebensverlängernden Anpassungsmaßnahmen schaffen, deren Spielräume aber nach der Dritten Industriellen Revolution aufgebraucht sind.)

Aber das sind alles Spekulationen.

Vielleicht hat die Geschichte auch ganz andere Lösungen parat?

Ganz schnell und überraschend - wie zur Wende im November '89?

 

((Der Autor, Jahrgang '42, war jahrzehntelang, sowohl vor, als auch nach der Wende, Technischer Direktor eines kleineren Chemiebetriebes in Sachsen.

Er arbeitete nach der Wende u. a. mehrere Jahre in China, wo er das Schreiben als neues Hobby entdeckte und wo u. a. Februar-März 2002 auch dieser Text entstand.))

 


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