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Hellmut Stegmann

Veränderungen und Entwicklungen in der Landwirtschaft

Die nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) Deutschlands durchgeführte Bodenreform erlebte ich von 1945-1948 als Landwirtschaftslehrling bzw. -gehilfe. Die Bodenreform erfolgte auf der Grundlage der Viermächtebeschlüsse, die von den Siegerstaaten auf der Potsdamer Konferenz gefasst wurden.

   

Frühjahrsbestellung im Bauernbetrieb 1947 (2. von rechts Hellmut Stegmann)

Davon wusste ich damals nichts. Wir jungen Lehrlinge waren mit Arbeit voll gepackt, selbst sonn- und feiertags musste das Vieh mindestens zweimal am Tag versorgt werden. Ich hatte mit der Überwindung der Folgen amerikanischer Gefangenschaft im Rheinwiesenlager bei Sinzig genug zu tun. In den Gesprächen unter uns Jugendlichen spielte die Bodenreform keine Rolle.

1948 war ich als Traktorfahrer an der Realisierung des Befehls 209 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland beteiligt (Bau von Wohnungen und Stallungen für Neubauern). Vor allem waren Sand und Steine aus dem schönen Unstruttal auf die Höhen bei Laucha zu fahren. Dadurch kam ich mit den Neubauern in engeren Kontakt und bewunderte ihren Mut beim Aufbau. Meistens waren es Umsiedler aus dem Osten, die alles verloren hatten.

Erst auf der Fachschule begriff ich, welche für die Agrarwirtschaft bedeutende Phase ich erlebt und mitgestaltet hatte. Nur durch den Wegzug vom Dorf entging ich der Auszeichnung als Aktivist.

Durch den Schulbesuch erfuhr ich vom Wirken Adolf Damaschkes, der als „Bodenreformer" bekannt wurde und vor mehr als 50 Jahren den „Bund Deutscher Bodenreformer" ins Leben rief. Seine Arbeit hatte bis 1945 keine Wirkungen.

Auf der Grundlage der Bodenreform entwickelten sich die nächsten Schritte der Agrarpolitik in der 1949 gegründeten DDR. Obwohl die Vorteile des Großbetriebes den Kommunisten bekannt waren, sahen sie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen (Eingliederung der Flüchtlinge, fehlende Einsicht der Kleinbauern, zerstörte Industrie, Nahrungsmittelmangel etc.) keine Möglichkeit, den sozialistischen Großbetrieb auf den Strukturen der enteigneten Betriebe unmittelbar zu etablieren.

Von 1950-1952 arbeitete ich bei der Bodenschätzung. In diesen Jahren schätzte ich als Leiter eines Ausschusses die Flächen in Thüringer Dörfern im Umkreis von Jena. Wir lebten in den Dörfern in enger Verbindung mit den Bauern. Hautnah erfuhren wir ihre Sorgen, Nöte und Hoffnungen. Alle kämpften noch mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges und oft sprachen sie mit uns über Zukunftssorgen. Viele Wirtschaften mussten ohne jüngere, männliche Familienmitglieder auskommen, da sie aus dem Krieg nicht auf den Hof zurückgekehrt waren. Die Kollektivierung, die aus der Sowjetunion bekannt wurde, beschäftigte alle. Viele fürchteten um ihre Selbständigkeit und ihr Eigentum. Die meisten wollten selbst bestimmen, was, wann, wo und wie sie arbeiten.

Anfang der fünfziger Jahre bildeten sich in den Dörfern u. a. Bestell- und Erntegemeinschaften, um die Arbeiten für den Einzelnen zu erleichtern. Daraus entstanden die ersten noch unerfahrenen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, z. B. in Schenkenberg, Kreis Delitzsch; in Merxleben, Kreis Bad Langensalza; in Worin, Kreis Seelow, und in Fienstedt, Saalkreis. Die Menschen begannen umzudenken, sie machten es sich nicht leicht. Jahrhundertalte Traditionen sollten aufgegeben werden.

Während meines Studiums verfolgte ich die mehr oder manchmal auch weniger freiwillige Bildung von Genossenschaften. Als Studenten unterstützten wir die anfangs aus wirtschaftsschwachen Kleinbetrieben hervorgegangenen Genossenschaften durch Beratung und Arbeitsleistungen.

Uns Studenten, unseren Vorstellungen von rationeller Landwirtschaft entsprach die Bildung von Betrieben mit zusammenhängenden Flächen, die eine effektive Bewirtschaftung großer Schläge ermöglichten. Auch der Weg, den Boden rechtlich als Privateigentum zu belassen und die Bildung von Genossenschaften unterschiedlichsten Typs (I gemeinsam bewirtschafteter Acker; II gemeinsam bewirtschafteter Acker und gemeinsam bewirtschaftetes Grünland; III Felder, Grünland und Tierbestände gemeinsam bewirtschaften) fand die Zustimmung der meisten Studenten. Konnten so doch alte Bodenreformideen verwirklicht werden. Die Absolventen der Landwirtschaftlichen Fakultäten leisteten aktive Beiträge zur Entwicklung und Festigung der entstehenden Genossenschaften (mit priv. Bodeneigentum) und Volkseigenen Gütern (mit staatl. Bodeneigentum). Nach schwierigen Anfangsjahren, mit Produktionsrückgang und Zweifeln an der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges durch Bauern, Wissenschaftler und Teilen der Stadtbevölkerung zeigten sich Erfolge der Bewirtschaftung der Flächen und Tierbestände in größeren Einheiten. An dieser Entwicklung war ich als Zootechniker beim Rat des Bezirkes und als Mitarbeiter der 1953 gegründeten Akademie der Landwirtschaftswissenschaften beteiligt. Wir waren überzeugt, dass die Zukunft der Landwirtschaft im Großbetrieb liegt. Er kann kostengünstiger, menschen- und umweltfreundlicher produzieren.

   

Erntekombine E 5126 (1970)

Mit der Wende schied ich im Frühjahr 1991 aus der Landwirtschaftsakademie aus, die der Auflösung entgegenging. Die westdeutsche Gesellschaft hatte kein Konzept für die Entwicklung der Landwirtschaft der DDR. Als Ersatz für ein Konzept diente die Verteufelung des staatlichen und genossenschaftlichen Großbetriebes, der VEG und LPG. Mit obskuren Vorschlägen wurde die Vernichtung der bestehenden Strukturen angestrebt. Dabei spielten die Bodenreformenteigneten, die vertriebenen Großbauern und die fanatischen Vertreter des bäuerlichen kleinen Familienbetriebes die Hauptrolle.

Die Bodenreform in der SBZ und die schmerzhafte, von Ungerechtigkeiten begleitete Bildung der genossenschaftlichen Großbetriebe legte jedoch tiefe Spuren für die Zukunft der Landwirtschaft. Die nahezu 40-jährige Arbeit der Genossenschaften hatte die Menschen und die Art der landwirtschaftlichen Produktion verändert. Erfolge waren unübersehbar und 1989 gab es in der DDR eine leistungsfähige Landwirtschaft. Es zeigte sich, dass die Vorstellung von an den Traktor geketteten Kleinbauern, die nur auf die Wende gewartet hatten, um wieder ihre relativ kleinen Flächen zu bewirtschaften, unreal war. Viele der in der DDR groß gewordenen und ausgebildeten Bauern fanden, dass der größere Betrieb wohl besser und der Gegenwart wie Zukunft entsprechender sei. Sie blieben zusammen, bildeten in einem komplizierten Prozess, den westdeutschen Rechtsvorschriften entsprechende Genossenschaften, GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts), GmbH und Aktiengesellschaften. 2004 arbeiteten in den bereits genannten Orten Schenkenberg, Merxleben und Fienstedt umgewandelte LPG als Genossenschaften, GmbH oder GbR. Im Grunde bestehen die Betriebe als Einheit mehr als 50 Jahre.

Die Folge moderner Mechanisierung und der Stilliegung von Betriebszweigen war eine radikale Verminderung des Arbeitskräftebestandes und dadurch bedingte hohe Arbeitslosigkeit in den Dörfern. Wirtschaftlich starke Betriebe konnten den Ausscheidenden Abfindungen zahlen.

Alle Anstrengungen vieler Bauern dienten nach der Wende dem Ziel, den geschaffenen Betrieb zu erhalten und weiter effektiv zu bewirtschaften. Als Mitarbeiter der Treuhandanstalt und später der BWG (Bodenverwertungs- und Verwaltungs-GmbH) begleitete ich diesen Prozess bis 1995.

Ich bin mir sicher, dass die in der DDR gelegten Spuren für die Landwirtschaft lange Wirkung haben werden, wenn es auch andauernde Bestrebungen gibt, diese zu verwischen, zu beseitigen. Wie immer in der menschlichen Gesellschaft stehen die nachfolgenden Generationen auf den Schultern ihrer Ahnen, ob sie es bewusst wollen und wahrnehmen oder nicht, ist unerheblich. Die Vergangenheit wirkt nach. Im Gebiet der ehemaligen DDR beträgt die Fläche je Betrieb im Mittel mehrere 100 ha, in der ehemaligen BRD mehrere 10 ha.

Unsere Enkel und die nachfolgenden Generationen werden allerdings kaum noch etwas vom bezahlten Hausarbeitstag, vom Urlaub im Sommer für Bauern, von preiswerten Ferienplätzen und vom Leben im Dorf von 1950-1990 erfahren. So können sie die Kindergärten, die Schulen, die Bibliotheken, die Kulturgruppen und -häuser, die Arztstationen und Landambulatorien, den Dorfkonsum, die Werkstätten etc. auf dem Lande nicht vermissen. Manches davon wird in den größeren Gemeinden wieder kommen, anderes verloren sein. Spuren der Entwicklung der Landwirtschaft der DDR werden bleiben und sei es, dass sie wie Märchen oder Sagen aus vergangenen Zeiten durch die zukünftige Geschichte geistern, ungläubiges Erstaunen hervorrufen und als wünschenswerte Lebens- und Arbeitsbedingungen angesehen werden.


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