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Günther Brückner 

„Angekommen“? oder besser „Geschafft“!

Mein Leben in der vereinigten BRD oder „Die BRD und ich“

 Zum Verständnis: Ich bin mit der Weimarer Republik auf die Welt gekommen (werde im Juli 2001 82 Jahre alt), bin mit ihr aufgewachsen, habe den Faschismus erlebt, am Zweiten Weltkrieg vom ersten bis zum letzten Tage teilgenommen, obwohl ich zuletzt „a. v.“ war, bin am 12.05.1945 nach 4-tägigem Fußmarsch nach Hause in Heidenau bei Dresden in sowjetische Gefangenschaft geraten und habe dann nach viereinhalb Jahren „Aufenthalt“ in der Ukraine am 26.11.1949 meine Entlassungspapiere erhalten, so dass ich ein neues Leben beginnen konnte. (Mit noch 19 Jahren wurde ich eingezogen, mit gut 30 Jahren kam ich nach Hause.)

Beide deutsche Staaten existierten bereits. Mir war eindeutig klar, dass die Spaltung Deutschlands das Werk der westlichen Siegermächte und ihrer westdeutschen Helfershelfer war. Mir war auch klar, welche Gefahren für die Welt und Nöte für uns Deutsche sich daraus ergeben würden.

Deshalb wollte ich mich mit dieser Spaltung nicht abfinden und nahm nach meiner Heimkehr (in die DDR) an allen möglichen Aktivitäten teil, die die Spaltung Deutschlands rückgängig machen sollten.

Nun, das ist uns nicht gelungen, und ich merkte bald, dass unser damaliges Bemühen um die Wiedervereinigung Deutschlands zum Scheitern verurteilt war. Es mußten eben erst Bedingungen geschaffen werden, die eine Vereinnahmung der DDR in die NATO-BRD sicher möglich machten - entsprechend den Vorgaben des Tages X und der Leute, deren Interessen u. a. Dr. Adenauer vertrat.

Inzwischen sind schon 11 Jahre ins Land gezogen. Ich komme mir vor, als lebte ich hier im Osten in einer Kolonie: Menschen 2. Klasse, billige Arbeitskräfte, gute Absatzmärkte, gute Kapitalanlagen - bloß billige Rohstoffe sind hier nicht zu holen - außer Rohstoff Mensch (anhaltender Wegzug vor und nach der Wende).

Die neuen Bundesländer sind endlich dabei, den Westen einzuholen und zu überholen wie z. B. bei der Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Kriminalität, Drogensucht, sozialen Unsicherheit, Mobbing, Berufsausbildung, bei den Unfällen im Straßenverkehr, dem Kultur- und Bildungsabbau, den Einschränkungen im Gesundheitswesen, dem Vormarsch von Aids, dem Konsumdenken und der Korruption. Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen wurden und werden geschlossen, Klassenfrequenzen und Anzahl der Lehrerstunden erhöht. Die Kinder haben keine Lobby mehr, sehr viele keine gute Perspektive. Was soll man zu einem Staat sagen, der so einen Einbruch im Kindernachwuchs zu verantworten hat? Der so wenig kinderfreundlich ist, der zwar um die Erhaltung ungeborenen Lebens viel Aufhebens macht, aber einen Teil seines menschlichen Nachholebedarfs lieber billig aus dem Ausland kauft.

Natürlich ist mir klar, daß bei der Verwirklichung der versprochenen blühenden Landschaften die alten Ostbetriebe, die VEG und LPG weg mußten. Diese standen nur im Wege, nahmen die Sicht und verräucherten die Umwelt. Natürlich sehe ich die „schönen“ Autobahnen und Straßen und die alten leeren im Verfall begriffenen Bahnhöfe und Gleisanlagen der DB - aber auch den Prachtbau Leipziger Hauptbahnhof mit seiner Verkaufsmeile. Natürlich sehe ich auch die Prachtbauten der Versicherungen, Banken, Strafanstalten, Handelsketten, Autocontainer, Krankenhäuser (oder besser: Kliniken) mit ihrer hohen technischen Ausstattung. Im Herzzentrum Leipzig-Probstheida wurde ich am Herzen operiert, in einer Reha-Klinik in Bad Lausick rehabilitiert. Eindeutig wurde mir dort das Leben erhalten. Ich kenne also aus eigener Erfahrung den modernen Krankenhausbetrieb.

Nun gehöre ich allerdings zu den Leuten, die lieber in einem älteren Krankenhaus gut behandelt und betreut werden als in einem hochmodernen Gesundheitspalast als Nummer und Quote zur Umsatzsteigerung beitragen.

Hervorragend wurde ich behandelt und betreut im alten Park-Krankenhaus in Leipzig-Dösen, wo ich am Darmverschluß, Darmkrebs und Morbus Crohn operiert wurde (mit 81 Jahren!). Letzteres werde ich zwar nicht los, aber Darmverschluß ist weg, Darmkrebs mit etwas Chemotherapie besiegt. Ich habe hohe Achtung vor diesen Menschen, die das geleistet haben - auch wenn sie aus der DDR stammen - oder gerade deswegen?

Natürlich sehe ich auch die neuen Wohnhäuser (vorwiegend auf der Wiese gebaut), die restaurierten Wohnungen und Schlösser. Bloß als Mensch, der ohne Schulden alt geworden ist, habe ich so meine Probleme damit. Wem gehört das alles - einschließlich der noch existierenden oder neu geschaffenen Betriebe?! Doch nicht den ehemaligen DDR-Bürgern!? Die Verschuldung in Sachsen (oder der Sachsen) steigt von Jahr zu Jahr. Selbst mein Bruder kam als Wessi wieder, nachdem er 1953 sein Heil in der BRD gesucht und einen beachtlichen Lastenausgleich eingesteckt hatte; nahm sein damals verlassenes Erbe wieder in Besitz und verkaufte es „sehr günstig“. (Dabei denke ich an die vielen volkstümlichen Heimatlieder).

Mit dieser Verschuldung habe ich mich nun abgefunden. Meinem Vater erging es auch nicht anders, als er nach dem Ersten Weltkrieg bei den damaligen Banken Kredite aufnahm, um den Bauernhof am Leben zu erhalten. Er mußte manchmal sogar Geld borgen, um das Schulgeld für mich bezahlen zu können oder Wechsel einzulösen. Die Angst vor der Pleite, die täglich unter den kleinen und mittleren Unternehmen und Geschäften umgeht, kenne ich auch schon aus meiner Kindheit. (Meine Mutter wollte sich damals das Leben nehmen, weil meine Eltern oft nicht wußten, woher sie das Geld für Dünger, Saatgut, Versicherungen, Zinsen, Löhne usw. nehmen sollten). Insgesamt bin ich von der neuen BRD (nach Anschluß der DDR) nicht enttäuscht. Sie ist in meinen Augen nichts anderes, als die etwas aufpolierte Weimarer Republik mit all ihren Gebrechen und Nöten, mit Ellbogenfreiheit, Bürokratismus, Standesdünkel (auch der gegen Bargeld), wo alles, aber auch alles zur Ware werden kann und wird.

Schlimm ist dran, wer alt und auf fremde Hilfe angewiesen ist. Meine Frau und ich waren einige Jahre (bis 1990) im Altersheim in Markranstädt. Mit der Wende haben wir aber schnell das Weite gesucht, da wir die neuen Kosten nicht bezahlen konnten, unsere Kinder nicht belasten und nicht zu Sozialhilfeempfängern werden wollten. Jetzt wohnen wir mit unseren Kindern und Enkeln in Markkleeberg und helfen uns gegenseitig. Wer genug Geld hat (egal, wie er dazu gekommen ist), der gehört zu den Siegern. Wer nicht, der ist eben ein Verlierer. So war es auch früher. Auf das wirkliche Sein kommt es gar nicht so an, dafür mehr auf das Erscheinungsbild, auf das beste Sich-Verkaufen. Das geht bei den Bewerbungen, bei der Werbung schon los. Die Vergleiche mit früher drängen sich natürlich ständig auf. Auch Karl May steht hoch im Kurs, dessen Bücher ich natürlich auch gelesen habe. Auch das Mittelalter wird wieder lebendig. Kriegsspiele sind modern, der Adel wird hofiert, Schützen- u. a. Traditionsvereine - führen ein lustiges Leben, und im Fernsehen kracht es nur so als Begleitmusik dazu. Nur die DDR muß aus dem Spiel gelassen werden. Diese Nostalgie ist nicht erwünscht - auf „allen Kanälen“. Warum nur? Wie verträgt sich das mit der gepriesenen Freiheit? Was haben bloß die Machthaber des 4. Reiches für eine Angst vor der DDR-Nostalgie? Was tun sie nicht alles, um das in den Dreck zu treten, was vielen einmal lebenswert erschien, was an die DDR erinnern könnte. Natürlich gab es in der DDR mündige Bürger die sehnsuchtsvolle Blicke nach dem Westen richteten und im 4. Reich (damals die DDR gemeint) so leben wollten, daß sie im 5. Reich (wenn es „andersrum“ kommt) nicht „gehenkt“ werden würden. Davon kenne ich genug. Manche „outen“ sich jetzt als Widerstandskämpfer gegen die DDR. Ich frage mich, wie die kleine, arg gebeutelte DDR bei so viel Widerstand 40 Jahre existieren konnte. Viele trieb es in die Freiheit, zur DM, in den Westen. Jetzt sind wir alle dort gelandet, aber die Flucht in den Westen hält an. Wegen der Plattenbauten? Gibt es im Westen keine?

Natürlich suche ich seit 11 Jahren die so gepriesene Freiheit. Ich habe sie noch nicht gefunden. Bin ich blind? Ist das Reisen ins kapitalistische Ausland die ganze Freiheit? Oder die vielen Parteien, Organisationen, Vereine, Klubs ...? „Teile und herrsche“ habe ich schon in der Schule (auf dem König-Albrecht-Gymnasium in Leipzig) gelernt. Auch die Politik von „Brot und Spiele“ ist mir bekannt. „Bete und arbeite“ hinkt auf einem Bein, da die Arbeit dazu nicht vorhanden ist. Ich weiß, daß viele Menschen verreisen. Das ist gut. Unsere Reisen zu DDR-Zeiten zählen ja nicht dazu. Diese gingen ja nur in die „sozialistischen Bruderländer“. Wir, also meine Familie und ich, sind mit Hilfe der Gewerkschaft „nur“ (zwangsläufig natürlich!) an die Ostsee, in den Harz, in den Thüringer Wald, ins Erzgebirge, in die Sächsische Schweiz und zu den Eltern meiner Frau, die eine Holzvilla im Walde bewohnten, nach Sachsen gereist. Einige Male wurde ich zur prophylaktischen Kur geschickt. Das kostete uns nahezu nichts. Auch das Fahrgeld war verbilligt. (Ich besaß und besitze auch heute noch kein Auto, obwohl ich seit 1938 einen Führerschein habe). Auch wir waren glücklich und haben uns gut erholt, wenn wir uns nicht gerade über das Wetter geärgert hatten.

Mit meinen Kolleginnen und einigen Eltern hatten meine Frau und ich ein Theateranrecht und nahmen es regelmäßig wahr. Seit unserer Vereinigung haben wir keines mehr und waren auch nicht wieder im Theater oder in einem Konzert.

Einmal sind wir allerdings 4 Tage mit einem Reiseunternehmen, welches Kaffeefahrten durchführt, in Holland gewesen (davon 1 Tag per Schiff auf der Nordsee). Wir haben an einigen Kaffeefahrten teilgenommen, bis wir merkten, wie uns das Fell über die Ohren gezogen wurde! Wir brauchten lange, um zu begreifen, daß in der BRD das Lügen und Betrügen nicht nur erlaubt, sondern sogar geförderte Existenzbedingung ist. Das merke ich auch an den sagenhaften Gewinnversprechungen bei den Werbungen.

Ein Enkel von mir mußte erst lange auf eine Lehrstelle warten. Dann hat er eine im Bauberuf erhalten, hat seine Arbeit gemacht, konnte aber auf Dauer die Schikanen und körperlichen Mißhandlungen (bis zum Arztbesuch!) eines Teils der anderen Lehrlinge nicht ertragen und mußte aufgeben. Helfen konnte ihm niemand. Nun ist er ohne Arbeit. Ein Faulenzer?

Im August diesen Jahres „feiern“ wir (die BRD?) den 40. Jahrestag des „Mauerbaus“. Ich weiß nicht so recht, wer daran Interesse hat. Auf alle Fälle wird dieses „Jubiläum“ dazu benutzt werden, um die DDR weiterhin niederzumachen.

Bloß - Mauer ohne Spaltung Deutschlands? Warschauer Vertrag ohne NATO? Spaltung Deutschlands ohne Antikommunismus? Kalter Krieg und Krieg der Sterne und Wettrüsten ohne Antikommunismus? Vereinnahme der DDR ohne Antikommunismus?

Am 13.08.1961 lebte ich in Mecklenburg und atmete erst einmal auf und freute mich über die dummen Gesichter westlicher Politiker und deren wirklicher oder wahrscheinlich eher gespielter Ohnmacht. Ihnen ging ja nichts verloren. An der Grenze wurde ja nicht gerüttelt, sie wurde damit akzeptiert, anerkannt und etwas gesichert. Ein ernstzunehmendes Hindernis für die westliche Kriegstechnik war die Mauer sowieso nicht. Das Embargo gegen uns blieb auch bestehen. Deshalb gab’s keinen Grund zur Aufregung. Daß die Flucht in den Westen dadurch etwas erschwert wurde, das juckte die Drahtzieher wenig. Schließlich gab es ja jahrelang erfahrene und bewährte Schleuser, die dafür sorgten, daß der Zustrom gut ausgebildeter Fachkräfte nicht abriß. Außerdem ließ sich das absehbare Geschehen an der „Mauer“ politisch, moralisch und psychologisch gut vermarkten. Das konnte und mußte ein Bumerang gegen die DDR werden. Die westlichen Scharfmacher hatten also allen Grund, sich darüber zu freuen, daß den DDR-Oberen nichts anderes als der Mauerbau als Antwort auf die jahrelangen politischen und militärischen Provokationen eingefallen ist. Das hatten sie begriffen und sofort damit begonnen, aus allen Rohren zu schießen und die Mauer zum zentralen Objekt zu machen - und das mit Erfolg. Deshalb müßte in Berlin, wo früher die Mauer entlangging, ein Denkmal mit Uncle Sam und Dr. Konrad Adenauer errichtet werden - mit der Sockelinschrift: „Zum Gedenken an die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1990, das wir nach 1945 entgegen Sinn und Buchstaben des Potsdamer Abkommens, gegen den Willen und die Interessen der Mehrheit der kriegsgeläuterten deutschen Bürger, aber im Interesse des Kampfes gegen den Kommunismus mit vielen Intrigen, diplomatischen Verwirrspielen, Bi-Zone, Tri-Zone, separater Währungsreform 1948 und Gründung der BRD 1949 geteilt hatten. Damit haben wir wieder gut gemacht, was wir damals den deutschen Menschen mit all den sich daraus ergebenden Folgen und Leiden angetan hatten. Dafür möchten wir uns hiermit noch nachträglich herzlichst entschuldigen.

So ist das mit meinem Verhältnis zur BRD. Die vielen „Opfer“ des Sozialismus sind bei genauer Betrachtung ursächlich Opfer des Antikommunismus. Natürlich ist der Kalte Krieg mit dem „Fall der Mauer“ nicht beendet, denn sie war ja selbst ein Ergebnis davon. Und die Verletzung des ABM-Vertrages durch das neue Raketenabwehrsystem der USA setzt den Kalten Krieg fort. Nun ist die Einheit (territorial) da, und ich habe mich damit abgefunden. Ich habe mich hier eingerichtet. Große Veränderungen werde ich nicht mehr erleben. Natürlich gibt es für mich nichts, was nicht anzuzweifeln ist (gab es für mich auch in der DDR nicht). Es gibt nichts Unabänderliches, alles fließt. Die Zukunft liegt in den Händen der jungen Generation.

Das Leben ist in der BRD für einen ehemaligen DDR-Bürger sehr teuer. Meine Rente ist knapp 3mal so hoch wie in der DDR - aber die Miete für eine weit kleinere Wohnung mehr als 10mal so hoch. Das gilt für Verkehrstarife und vieles andere mehr. Ich kenne die Probleme der alten und pflegebedürftigen Menschen in diesem Staat. Ich habe im März 1990 bei den Wahlvorbereitungen einmal folgende Gedanken geäußert:

Wer SPD wählt, wählt auch CDU.

Wer CDU wählt, wählt Kohl und die Maden dazu.

Dann wundert euch nicht, wenn ihr vor Arbeitsämtern Schlange steht,

dann wundert euch nicht, wenn euch der Wind durch kalte Zimmer weht,

dann wundert euch nicht, wenn euch der Kuckuck das letzte Hemd wegholt,

und denkt daran: ihr habt das selber so gewollt.

 

So haben es die Bürger Deutschlands in der Mehrheit gewollt. Also akzeptiere ich das ... 


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